„Wolgaster Boot“
NATO-Code: Iltis A
Im März 1958 wurden drei Einrichtungen mit der Entwicklung eines Leichten
Torpedoschnellboots (LTS-Boot) für den küstennahen Einsatz beauftragt: das
Institut für Schiffbautechnik Wolgast (ISW), die Yachtwerft Berlin und die
Schiffswerft Roßlau. Drei
Entwürfe entstanden: Projekt 63, 68 und 81. Im Juli 1960 begann die
Erprobung der Nullboote der Projekte auf dem Strelasund. Ausgangsbasis war der Hafen Parow. Die technische Erprobung erfolgte durch uniformiertes
Personal.
Nach Überarbeitung der Projekte sollten zwei davon in
Serie gehen. Das Projekt 81 von der Schiffswerft Roßlau, ausgeführt als
Tragflächenboot
Projekt 81.2,
wurde hauptsächlich auf Grund des Vorhandenseins nur eines Antriebsmotors abgelehnt. [Weitere
Versuchsboote siehe hier]
Entwicklung und Bau
Der erste
Studienentwurf Projekt 63.1 (Werft-Bau-Nr. 98) wurde am 31.10.1958 durch das ISW eingereicht. Im selben Jahr
noch wurde noch der erste
Fertigungsauftrag erteilt. Baubeginn des Prototyps in der Peenewerft Wolgast
war der 01.09.1959, die Wasserung erfolgte am 06.09.1960 (Länge: 13,8 m; Breite: 3,6 m;
Besatzung 2 Mann) [Bild].
Das Wissenschaftlich Technische Zentrum (WTZ) führte Erprobungsfahrten im
Oktober und November 1960 von Parow aus durch. Am 17.01.1961 war das Boot wieder
in Wolgast zum Umbau und zur Überwinterung. Weitere Erprobungen folgten.
Das
zweite Boot, Projekt-Nr. 63.2, wurde im April 1961 zu Wasser gelassen. Es war
etwas länger, 14,40 m, und hatte bereits das Radargerät KSA V an Bord. Die
Antriebsmaschinen wurden weiter nach achtern verlegt, um die Schwerpunktlage des
Bootes zu verbessern. Die Erprobung fand vor Peenemünde statt.
1962 folgte
das dritte Versuchsboot, Projekt-Nr. 63.3. Dessen Erprobung begann September 1962.
Bei diesem Boot wurden ein überarbeitetes Getriebe eingebaut und der Bootskörper
geringfügig verändert.
Ab 1962 entstand auf der Peenewerft eine Nullserie (auch als Halbserie bezeichnet) von sechs Booten (Projekt-Nr. 63.31 bis 63.36). Diese Boote wurden beim WTZ Wolgast in Dienst gestellt und weiter erprobt. Sie dienten auch zur Baubelehrung und Ausbildung der ersten Besatzungen. Ab 1965 wurden davon fünf Boote der Flotte übergeben.
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Noch während der Erprobung der Nullserie begann am 02.09.1963 der Serienbau von 30 LTS-Booten (Projekt-Nr. 63.301 bis 63.330). ). Sie kamen im Zeitraum von Juli 1964 bis Januar 1966 in Dienst. Namen trugen die Boote nicht.
Das Projekt 63.300 war als Gleitboot ausgelegt. Die Boote waren aus Aluminium
und vollständig geschweißt. Sie verfügten über vier wasserdichte Abteilungen. Die
Bootskörper hatten begrenzte Nutzungszeiten, die mit 500 Einsatzstunden festgelegt waren.
Durch Schläge bei hoher Fahrtstufe kam es schon mal zu Verformungen und
Rissen in den Spanten.
Als Antriebsanlage dienten zwei 12-Zylinder-Dieselmotore vom
Typ M50F. Es wurden die Varianten M50F3 und F4 verwendet. Zum
Anlassen der Motoren
sowie für den Torpedoschuss wurde Druckluft benötigt.
Die Druckluftflaschen konnten nur an Land oder auf den Schwimmender Stützpunkt
(SSP) aufgefüllt werden. Ein
Hilfsdiesel erzeugte eine Bordspannung von 220V/50Hz sowie 24V Gleichspannung
für bestimmte Geräte.
Eine Besonderheit des Projektes war die außenliegende
Ruderanlage. Durch die direkt im Propellerstrahl liegenden Doppelruder war das
Boot sehr wendig [Bild].
Detailaufnahmen: | |||||
Einsatzaufgaben
Durchführung schneller und
überraschender Torpedoschläge auf Überwasserziele im
Küstenvorfeld. Danach erfolgten sofortiges Absetzen und Anlauf einer geschützten Position.
An das Ziel herangeführt wurden die LTS-Boote meist durch TS-Boote. Dies konnte
aber auch von Land aus durch
die Leitstationen Typ „MIS“ bzw. aus der Luft durch Hubschrauber geschehen.
Weitere Aufgaben waren Aufklärungs- und Kuriereinsätze sowie das Legen von
Nebelwänden zum Eigenschutz und für andere Schiffe und Boote.
Jeweils eine Abteilung gehörte zum Kampfkern I. Die Boote dieser Abteilung waren ständig mit scharfen Gefechtstorpedos ausgerüstet. Die Dampfgastorpedos waren einsatzklar, eingestellte Lauftiefe zwei Meter, Laufgeschwindigkeit 39 kn, Laufwinkel je vier Grad Steuerbord bzw. Backbord. Die Gefechtsladung eines Torpedos betrug 320 kg.
Bei Manövern und Übungen sowie bei Flottenparaden waren Boote des Projekts 63.300 ebenfalls beteiligt.
Torpedoschuss
Der Torpedoschuss wurde durch den
Kommandanten per Fußpedal ausgelöst. Der Torpedoausstoß erfolgte nach achtern
mit dem Gefechtskopf nach vorn. Danach tauchte der Torpedo unter dem Boot nach vorn durch. Das Boot drehte nach dem
Schuss ab. Der Torpedo setzte die ursprüngliche Fahrtrichtung des Bootes fort
[Bild]. Der Torpedo wurde nach
einer Laufstrecke von 200 m scharf.
Flachwasserschüsse waren möglich, sie konnten ab einer Geschwindigkeit des
Bootes von 36 kn erfolgen. International wurde in Marinekreisen in Seegebieten
mit Wassertiefen unter 10 m nicht mehr mit einer Torpedierung durch
Überwasserkräfte gerechnet. Deshalb war diese Fähigkeit der LTS-Boote von
besonderer Bedeutung!
Besatzung
Die drei Besatzungsmitglieder
wurden in einer Kanzel auf dem Vorschiff untergebracht. Sie konnten nur von oben
durch Mannluken einsteigen [Bild]. Der Kommandant sowie der Funkmeß-Maat saßen in
Fahrtrichtung und der Maschinist hinter dem Kommandanten mit dem Blick nach
achtern.
Die Besatzung war starken körperlichen Belastungen durch die auftretende Stoßbeschleunigung bei hohen Geschwindigkeiten ausgesetzt. Durch den Einbau stoßgedämpfter Sitze konnte dies nur gemindert werden. Kurzzeitig konnte beim Abtauchen des Bootes in ein Wellental in der Kabine sogar Schwerelosigkeit auftreten.
Modernisierung
Bereits ab 1964 wurden
die Boote ständig modernisiert bzw. gleich entsprechend dem aktuellen
Entwicklungsstand
ausgerüstet. Die hauptsächlichen Maßnahmen dabei waren:
Bei hoher Fahrt im Seegang konnte es durch Wellenschlag zur Deformierung der Fahrerkabine und damit zum Splittern der Frontscheibe kommen. Die Kabine wurde darum bereits bei der Erprobung verstärkt. Wellenabweiser wurden im Verlauf des Einsatzes vorn angebaut und verstärkt [Bild]. Bei einigen LTS-Booten wurde später ein innen liegendes Gitternetz an den Frontscheiben angebracht, das beim Zerbersten des Glases die Besatzung vor Verletzungen schützen sollte.
Struktur des LTS-Verbandes
Die Boote
gehörten anfangs der seit dem 17.09.1962 bestehenden Leichten Torpedoschnellboots-Abteilung
(LTSB-Abteilung auch als LTS-Abteilung bezeichnet) an, sie war der 4.Flottille
unterstellt. Am 02.05.1963 wurde die Leichte Torpedoschnellboots-Brigade
(LTSB-Brigade / LTS-Brigade) in Ribnitz durch
Befehl 14/63 aufgestellt. Sie unterstand der neugebildeten 6. Flottille. Gegliedert war
die LTS-Brigade in die 7. und 8. Abteilung, die 9. Abteilung wurde
1965 in der Reparaturbasis Ribnitz aufgestellt. Die Abteilungen
waren wiederum in Gruppen und als kleinste Formation in die Rotte gegliedert. Die Boote des Projekts 63.300 wurden zuerst der 7. LTS-Abteilung
zugeordnet. Ab 1968 gab es keine Zuordnung reiner Bootstypen zu den Abteilungen.
Wobei es aber mindestens immer eine Abteilung gab, die vollständig aus Booten des
Projekts 63.300 bestand. Jede Abteilung sollte 10 Boote in Bestand haben. Die
Boote selbst wechselten fast jährlich zwischen den Abteilungen.
Ab Dezember 1965 bis Ende 1967 gab es einen Ausbildungspark mit Booten des Projekts 63.300 und 68.200, diese erhielten eine vierstellige Bord-Nr.. Für das Projekt 63.300 waren die Nr. 9001 bis 9015 vorgesehen.
Durch Befehl 36/67 des Chefs Volksmarine (CVM) vom 22.05.1967 wurden die
LTS-Boote für das Ausbildungsjahr1967/68 in den Gefechtspark und den
Ausbildungspark unterteilt. Die Abteilungsstruktur blieb erhalten. Die
Schul- und Erprobungsboote beider Projekte waren der LTS-Brigade direkt
unterstellt.
1969 wurde eine Technische Reserve gebildet. Mit Genehmigung
des CVM konnten im Verlauf eines Ausbildungsjahres die Boote der Technischen
Reserve in die LTS-Abteilungen nach Änderung der Bord-Nr. eingegliedert werden.
Die LTSB-Brigade erhielt am 01.03.1971 den Namen „Fritz Globig“ verliehen. Am
01.12.1971 wurde die LTSB-Brigade in 7. LTSB-Brigade umbenannt.
Auf Befehl
des Ministers für Nationale Verteidigung wurde zum 01.12.1976 die 7.
LTSB-Brigade in die 7. LTSB-Brigade und 9. LTSB-Brigade umstrukturiert. Jede
Brigade bestand nun aus drei Gruppen zu je 5 Booten.
Die LTS-Boote wurden durch die KTS-Boote abgelöst. Zuerst wurden die Boote der 9. danach der 8. und 7. LTS-Abteilung ersetzt. Dabei wurde die Bord-Nr. von den neuen Booten übernommen. Die Reihenfolge der Außerdienststellung von LTS-Boote in den Abteilungen richtete sich nach dem technischen Zustand. Eine kurzfristige Umsetzung der Boote des Projekts 63.3 in die 7. bzw. 8. Abteilung war möglich und hatte einen Bord-Nr.-Wechsel zur Folge.
WTZ / Baubelehrung
Die Boote des WTZ und
der Baubelehrung trugen Bord-Nr. mit dem Kennbuchstaben „V“.
Außer den bereits oben genannten Erprobungsbooten war auch das Boot 63.301 beim WTZ zeitweise in Dienst [Bild]. Von 1963 bis 1972 war mindestens ein LTS-Boot im Bestand des WTZ.
Vor der Indienststellung der Serienboote erfolgte in der Regel eine kurze Erprobungsphase der einzelnen Boote. Bei einer solchen Erprobungsfahrt im September 1965 erreichte das Boot 63.327 (in Dienst am 01.12.1965) einmalig die Geschwindigkeit von 55,38 kn. Die normalen Erprobungswerte lagen bei Maschinendrehzahlen von 2000 U/min bei ca. 53,8 kn.
Standorte der LTS-Boote / LTSB-Brigade / 7.
LTSB-Brigade
Die LTS-Boote konnten von jedem beliebigen Hafen bzw.
Anlegeort operieren. Ab 1964 wurde der LTS-Brigade ein Schwimmender Stützpunkt
Projekt 62 zugeordnet und 1967 folgte ein weiterer SSP. Dadurch wurden die
Arbeits- und Lebensbedingungen der Besatzungen verbessert und die LTS-Boote
konnten noch unabhängiger von eingerichteten Häfen eingesetzt werden. Als
Hauptbasen des Stabes bzw. der Boote wurde folgendes ermittelt:
Juli 1960 | Parow (Erprobung) |
01.12.1961 | Dänholm (Erprobung = erste militärische LTS-Abteilung gebildet) die Boote gehörten noch zum WTZ / ISW |
Juni 1962 | Peenemünde Nord (Erprobung) |
September 1962 | Peenemünde (Erprobung) |
17.09.1962 | Ribnitz |
02.05.1963 | Stab Brigade und 7. LTS-Abteilung in Ribnitz |
01.08.1963 | Stab Brigade Stubbenkammer auf Rügen |
01.12.1963 | Stab Brigade sowie 7. und 8. LTS-Abteilung in Ribnitz |
12.06.1964 | Stab Brigade sowie 7. und 8. LTS-Abteilung mit SSP H-67 (Bau-Nr. 62.4) in Gager [Bild] |
01.11.1964 | Stab Brigade und 8. LTS-Abteilung in Ribnitz, 7. LTS-Abteilung und H-67 in Warnemünde |
11.04.1965 | 9. LTS-Abteilung in Ribnitz |
05.11.1965 | Stab Brigade sowie 7. und 8. LTS-Abteilung und H-67 in Warnemünde |
14.04.1966 | Verlegung von Warnemünde nach Bug/Dranske |
Am 15.04.1964 wurde die Reparaturbasis Ribnitz der LTS-Brigade unterstellt. |
Verbleib
Zwei der drei Versuchsboote
wurden Mitte der 60er Jahre verschrottet. Die Boote der Nullserie wurden
zwischen 1966 und 1972 außer Dienst gestellt und die Serienboote von 1973 bis 1977. Bis auf
wenige Ausnahmen wurden alle Boote verschrottet.
Folgende Boote wurden nach
der Außerdienststellung als Traditionsboot aufgestellt:
Taktisch-technische Daten für Projekt 63.300
Verdrängung: | 16,40 t |
Länge über alles: | 14,91 m |
Länge zwischen den Loten: | 14,20 m |
Breite über alles: | 3,40 m |
Seitenhöhe: | 1,79 m |
Tiefgang: | min: 0,90 m; max: 1,10 m |
Geschwindigkeit: | ökon: 42 kn; max: 52 kn; Angriff: 40 bis 50 kn |
Stoppstrecke: | ca. 220 m bei 43,8 kn |
Drehkreis: | ca. 800 m bei einer Ruderlage von 25 Grad |
Reichweite: | bei 35 kn 230 sm, mit Zusatzbehälter* ca. 300 sm |
Seetüchtigkeit: | bis See 4, darüber nur noch mit geringer Geschwindigkeit |
Torpedoeinsatz: | bis See 3 |
Flachwasserschuss: | ab 6 m Wassertiefe bei ca. 36 kn |
Antrieb: | 2x Dieselmotor M50F; Gesamtleistung: 1765 kW |
Hilfsdiesel: | 1 KVD 8 |
Bordspannung: | 220V/50Hz |
Radar: | Anlage KSA-V [Bild]; TSR 222* [Bild] |
Funkanlage: | R130* und R619* |
Ausrüstung: | Magnetkompass, Flugzeuguhr, Zielgerät KLN 1*, Radiokompass ARK-5* |
Bewaffnung: | 2 Torpedorohre 533,4 mm |
4 Nebeltonnen Typ C-weiß* [Bild] | |
Handfeuerwaffen | |
Besatzung: | 3 Mann (1 Offizier, 2 Maate) |
* nach Modernisierung |
Danke für Informationen und Fotos an Volker Schütz sowie für die freundlicherweise zur Verfügung gestellten Fotos von H.-J. Hiller und Bernd Loose.
© 2012 - 2015 Peter Kieschnick
Video: 3,55 min lang
Eine Chronologie von Bordnummern des Projekts 63.300 ist durch Helbe und
Horma
(Horst Maiwald, [Horma] †2014) erarbeitet
worden.
Interessenten
zu einzelnen Booten oder andere Details
melden sich bitte über E-Mail: webmaster@parow-info.de
Weitere Chronologien sind hier.