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Absturz des B-24J Bombers „The Lady Will“ in Stralsund

Am Dienstag, den 20.Juni 1944 machte sich die 8.US Air Force für ihren Einsatz mit der Auftragsnummer 8AF 425 im fernen Großbritannien bereit.
Insgesamt sollten 1548 Bombenflugzeuge und 734 Begleitjagdflugzeuge starten. Folgende Primäre Ziele wurden zugewiesen:

Die Besatzungen der Flugzeuge der 2. Bomber Division, mit der 44., der 93., der 389., der 392., der 446., der 448., der 453. und der 492. Bomb Group, wurden am 20.Juni 1944 um 01:00 Uhr (Englische Zeit, nach deutscher Sommerzeit 02:00 Uhr) geweckt. Bereits um 02:00 Uhr wurde das Briefing angesetzt. Als der Vorhang der Einsatzkarte fiel, konnte man das rote Band der Einsatzstrecke sehen. Es ging über die Nordsee, überquerte Jütland, folgte der Ostsee im Osten, schließlich auf der Höhe der Insel Rügen einen Kurswechsel nach Südosten zur Küste und dann einen scharfen Knick nach Westen auf das Ziel. Mit der Sonne im Rücken sollte die Kraftstoff-Anlage in Pölitz bei Stettin an der Oder-Mündung angegriffen werden. Um 03:30 Uhr erfolgte der Start von Nord Pickenham [Bild] durch die dort stationierte 492th Bomb Group. Der B-24J Bomber „The Lady Will“ gehörte dieser Bomb Group an.

Die 1. bis 3. Bomber Division verließen die englische Küste in drei parallelen Linien. Die 3. Bomber Division änderte ca. 80 km westlich von der Westküste von Jütland den Kurs in Richtung Magdeburg und Fallersleben. Nach der Überquerung von Jütland, kurz vor 08:00 Uhr flog die 1. Bomber Division in Richtung Hamburg und Ostermoor.

Die 2. Bomber Division flog in der taktischen Formation „Combat Boxes“ [Bild] in Richtung Pölitz. Durch die Aufteilung jeder Bomb Group in vier Gruppen zu je etwa bis zu 12 Flugzeuge sollte die Verteidigung gegenüber Jagdflugzeuge stärken. [hier der 392.BG] Dabei war es wichtig, dass die Staffeln dicht zusammen in engen Formationen flogen.
Bei einer Höhe von 7500 Meter erfolgte beim nördlichsten Punkt Rügens, Kap Arkona, ein Richtungswechsel in Richtung Südosten.

Die 856. Squadron konnte die Fluggeschwindigkeit nicht einhalten und fiel langsam zurück. Es entstand eine Lücke von ca. 400 Meter. Die führende 44. Bomb Group war sechs Minuten vor den Flugplan, die letzte Bomb Group zwei Minuten hinterher. Dadurch war die Abwehrkraft geschwächt. Die Jagdbegleitung der 339. Fighter Group konnte die gestreckte Formation nicht decken. Die 355. Fighter Group war auf Grund technischer Schwierigkeiten noch nicht vor Ort.

Die Luftwaffe setzte zum Abfangen dieses Bomberpult ca. 50 bis 60 Jagdflugzeuge der Typen Messerschmitt Me 410, Me 110, Bf 109G und Junkers Ju 88 ein. Der Angriff begann um 08:05 Uhr und dauert nur wenige Minuten. Das Zerstörergeschwader 26 setzte Me 410 A-1 und Me 410 B-2 mit 21 cm-Raketen, sogenannte „Pulkzerstörer“, ein. Somit waren die deutschen Jäger außerhalb der Reichweite der Bordwaffen der Bomber B-24. Die Jäger konzentrierten sich auf die 856. Squadron, sie hörte praktisch auf zu existieren. [Foto]
Für das Zerstörergeschwader 26 wurden 32 Abschüsse und beim Jagdgeschwader 300 (Bf 109G ) fünf Abschüsse von B-24 Bomber bestätigt [siehe hier]. Die Amerikanische Stellen gaben den Verlust von 34 B-24 an. 205 Bomber wurden beschädigte, davon erreichten 20 Bomber Schweden.

Die 2. Bomber Division konnte trotz Einneblung und Flak-Beschuss Bomben auf das Hydrierwerk Pölitz werfen. Allein durch die 392. Bomb Group wurden insgesamt 812 Bomben von 100 kg und 500 kg abgeworfen. [Foto

Der Bomber Consolidated B-24J „Liberator“ mit der Serien-Nr. 42-110152 war mitten im Angriff der deutschen Jäger. Das Flugzeug gehörte zur 856. Squadron der 492th Bomb Group und trug den Namen „The Lady Will“. Das Flugzeug wurde in San Diego hergestellt. Ihr erster Einsatz in Europa war am 25. Mai 1944 gegen Ziele in Frankreich. Es folgten weitere sechs Missionen mit vier verschiedenen Besatzungen. Am 20.Juni 1944 startete die Crew R-12 mit dem Piloten 2nd Lt. Georg Faucher das erste Mal mit diesem Flugzeug.
Die Besatzung R-12 [weitere Informationen] kam im Mai 1944 nach North Pickenham. Ihren ersten Einsatz flogen sie am 12. Juni 1944 gegen den Flugplatz Dreux in Frankreich. Es folgten Einsätze am 15. Juni 1944 und am 17. Juni 1944 jeweils nach Frankreich und bei jedem Einsatz mit einem anderen Bomber.

Das Flugzeug „The Lady Will“ mit der Besatzung R-12 wurde vor der Insel Rügen getroffen und der äußere linke Motor fing an zu brennen.
Im Buch „32 Co-Piloten“ von Dick Bastien berichtet Lt Terry Diggs, Co-Pilot Crew-R-12: „Der erste Hinweis darauf, dass wir Angegriffen wurden, war ein riesiger Feuerball, da wo Curtis (Crew 610) gewesen war. Es war offenbar einen direkten Treffer in den Tanks. Ich glaube nicht, dass jemand möglicherweise überlebt hat. Die Ereignisse geschehen so schnell, dass ich nicht sehen konnte, was mit Abbott (Crew 609) geschehen ist. Wir wurden von Me-210 oder 410 getroffen. Unsere 2. und 4. Motoren waren aus. Als wir nach hinter fielen, begann Me-109, auf uns zu schießen!"

Der Bomber konnte gerade noch in der Luft gehalten werden. Dem Schützen in dem Kugelstand im Rumpfboden, Sgt.William Moore, wurde durch den Kommandanten befohlen in der Nähe der Küste Rügens abzuspringen, da er bei einer Notlandung keine Überlebenschance hatte [Bild]. Er hatte die rettende Küste nicht erreicht. Man fand Ihn an der Küste Rügens, er wurde am 06.August 1944 auf den Friedhof in Saßnitz begraben. Später erfolgte eine Umbettung auf den Ardennenfriedhof in Belgien (Grabanalge D-13-8).
Da eine Notlandung nicht möglich war, wurde durch den Kommandanten 2nd Lt. Georg Faucher befohlen abzuspringen. Sieben Mann von neun noch an Bord befindlichen sprangen ab. Sie landeten in der Nähe von Dreschvitz auf der Insel Rügen. Die Besatzungsmitglieder wurde durch Volkssturm-Männer nach Gingst abgeführt. Die Wehrmacht transportierte sie weiter mit einem LKW. Der Navigator 2. Lt. John McSpiritt war an der Wade stark verwundet. Die Besatzung wurde in drei verschiedene Kriegsgefangenlager gebracht, Stalag Luft III, IV und VIIA [Bild].

Das Flugzeug flog führungslos mit seiner 3992 kg Bombenlast weiter an Garz vorbei und über den Strelasund. Der Heckschütze Sgt. Roy Patterson wollte ebenfalls abspringen, als er den schwerverwundeten rechten Bordschützen Sgt. Miguel Reyes sah. Da ein Absprung des Verletzten nicht möglich war, versuchte nun Sgt. Roy Patterson das Flugzeug auf den Fliegerhorst Parow notzulanden [Bild]. Auf den Weg dahin geriet das Flugzeug in ein Abwehrfeuer vom MG und Flak, der linke innere Motor hatte einen Treffer abbekommen und brannte.

Ein Flieger des Fliegerhorsts berichtet: „Wir hörten Flugzeuggeräusche von Südost und sahen einen einzelnen „Liberator“-Bomber mit nordwestlichem Kurs vom Südteil Rügens her nahen. Er mag ungefähr eine Höhe von 1000m gehabt haben. Die beiden linken Motore qualmten stark. Flammen waren nicht zu erkennen. Vermutlich waren die Motoren schon ausgebrannt. Da schossen – unvernüftigerweise muß man sagen – die Fla-MG auf dem Bomber, natürlich ohne ihn zu erreichen.

Nun versuchte Sgt. Roy Patterson in einen Bogen den Fliegerhorst anzufliegen. Da er kein Pilot war, begann er über die linke Seite zu kurven. Ein Fehler!
Der Flieger berichtet weiter: „Uns ist auf der Flugzeugführerschule bei Mehrmotorenflug strikt gelehrt worden, nicht über den stehenden Motor zu kurven, sondern den weiten Weg der entgegengesetzten Kurve zu nehmen. Der stehende Motor muß in der Kurve „oben“ sein, denn der bremst und der laufende zieht. Beim „Stralsund-Crasher“ konnten wir den Fehler genau studieren: Die Neigung der Flugzeuglängsachse zur Erde wurde immer steiler, die Motore steigerten kontinuierlich ihre Drehzahl, bis sie zum Schluß fast aufheulten. Sie haben den Bomber buchstäblich in die Tiefe gerissen.
Das Flugzeug flog am Flugfeld vorbei und ging nochmals steil nach oben, dabei verlor es an Geschwindigkeit. Es gab keine zweite Anflugmöglichkeit zum Fliegerhorst Parow, der Bomber war außer Kontrolle. Vom „Neuen Markt“ aus wurde beobachtet, dass sich ein Mann der Besatzung, auf der Tragfläche stehend, zum Absprung bereit machte. In Höhe des Katharinenkloster sprang Sgt. Roy Patterson mit dem Fallschirm ab. Dieser öffnete sich nur teilweise. Die Feuerwehr konnte nur noch einen Toten bergen. Roy Patterson wurde am 21.Juni 1944 als „Unbekannter amerikanischer Flieger“ auf dem neuen Frankenfriedhof beigesetzt. Später wurden seine sterblichen Überreste in seiner Heimatstadt überführt. Der Leichnam des Bordschützen Sgt. Miguel Reyes wurde nicht gefunden. Sein Name ist in dem „Wall of the Missing“ in den Niederlanden eingraviert.

Der amerikanische B-24 Bomber stürzte gegen 09:25 Uhr in Schräglage auf dem Grundstück 16/17 (Klempnerei Zander) in der Kleinschmiedstraße mit lauten Krach ab. Gleich nach dem Absturz gab es eine Explosion und zugleich schlugen mit einer schwarzen Qualmwolke brandrote Flammen empor. Immer wieder gab es Explosionen durch die Bomben und Munition sowie durch die berstenden Treibstofftanks. Der B-24-Bomber wird total zerfetzt. Insgesamt gab es 22 Detonationen, davon einige von ganz erheblicher Wirkung. Dadurch war es der Feuerschutzpolizei erst nach den Explosionen möglich das Feuer gezielt zu bekämpfen und die Feuerbrunst wurde immer größer. Auf das Haus Ossenreyerstraße 54 weitete sich das Feuer aus. Durch die Wucht einer Explosion wurde ein Teil einer Tragfläche auf das Dach des Hauses Ossenreyerstraße 55 geschleudert, das Dach fing an zu brennen. Auch das Haus Ossenreyerstraße 56 fing Feuer.
In der Kleinschmiedstraße griff das Feuer mit großer Geschwindigkeit um sich. Die Häuser Nr. 14 und 15 fingen Feuer, durch den Ostwind schlugen die Flammen auf die gegenüberliegende Straßenseite und setzten die Häuser Nr. 6 bis Nr. 10 in Brand, sie waren nicht mehr zu retten.

Es wurden Unmengen an Wasser gebraucht. Von der Badenstraße, Heilgeiststraße, Jakobiturmstraße und der Wasserstraße wurden Schlauchleitungen gelegt. Das Wasserleitungsnetz war überfordert. Eine Leitung brachte auch Wasser aus den Kanälen des Hafens. Erstmals wurde auch der errichtete Löschteich (700 m³) auf dem „Alten Markt“ verwendet. Von der Feuerschutzpolizei wurden 35 Strahlrohre mit insgesamt einer Länge von ca. 5345 m Schlauchleitung eingesetzt. Dazu kamen weitere 12 Strahlrohre mit einer ca. 2000 m Schlauchleitung von der Wehrmacht, darunter die des Fliegerhorst Parow. An unmittelbaren Einsatzkräften standen 87 Mann der Feuer- und Luftschutzpolizei, darunter viele Ukrainer, und 54 Mann der Wehrmacht zu Verfügung. Dazu kamen viele freiwillige Hilfskräfte und Wehrmachtskommandos zum Einsatz.

Während man versucht das Feuer einzudämmen, drangen andere in die brennenden Häuser ein und bargen Verwundete aus den Kellern, dabei kamen die Mauerdurchbrüche in den Keller zugute. [Bild] Die Verletzten wurden in der Nikolaikirche erstversorgt. Auch diente die Kirche für die nun Obdachlosen als erste Unterbringsmöglichkeit. Der geborgene Hausrat wurde ebenfalls in der Nikolaikirche eingelagert. Die Bombergeschädigten und die Rettungsmannschaften erhielten Verpflegung durch die Volkswohlfahrt.
Nach und nach wurden alle an den Brandherd angrenzenden 12 Häusern, die vom Feuer und Löschwasser unbewohnbar geworden waren, geräumt. Kleinere Brände in der Badenstraße 5 und 7 bis 9 konnten schnell gelöscht werden.

Bei einen Kontrollgang auf den Dachboden des Hauses Badebstraße 9 wurden drei 50 kg Bomben gefunden, 30 m vom Aufschlagort des Flugzeuges! Die Bomben wurden von der Luftschutzpolizei entschärft.
Am 22. Juni 1944 fand man unter den Trümmern in der Kleinschmiedstraße eine 50 kg Bombe, die auch entschärft werden konnte.
Am 09. August 2007 ist eine 50 kg Bombe bei Ausgrabungen entdeckt und entschärft wurden. Es wurde auch eine in Brand geborstene Bombe sowie Patronen und Geschosse der Bordgeschütze sowie Flugzeugreste gefunden [siehe Bild].

Nachdem das Feuer eingedämmt wurden war, konnten aus den Trümmern die Reste des völlig zerfetzten Bombers geborgen werden. Trümmerteile des Bombers wurden in der Ossenreyerstraße, im Rathausgang und am Stadttheater gefunden. Im kleinen Schwanensee neben der Katharinenbastion wurde die Plexiglashaube einer Kanzelabdeckung entdeckt. Ein Motor hat sich in das Pflaster der Heilgeiststraße gegraben.

Um die Rettungsmannschaften nicht zu gefährden wurden durch Wehrmachts-Pioniere gegen 17:00 Uhr die stark zerstörten Häuser in der Kleinschmiedstraße gesprengt. Gegen 19:00 Uhr war das Feuer bekämpft und es zog eine Brandwache auf. Am 24. Juni 1944 um 19:00 Uhr wurde die letzte Brandwache beendet.
Am 24. Juni 1944 wurden einige Wohnungen wieder freigegeben. Am 26. Juni 1944 waren die Ausräumungsarbeiten soweit abgeschlossen, dass die Straßen wieder passierbar waren. Insgesamt wurden 132 Personen obdachlos.

In einem Bericht stand folgendes:
"In den Vormittagstunden ging ein mit Bomben und Brennstoff vollbeladener viermotoriger Bomber mitten in der Altstadt nieder, schlug auf ein Hausdach in der Kleinschmied-Straße auf und fing an zu brennen." …"Insgesamt gab es 22 Explosionen, und es entstand ein Großfeuer, bei dem zehn Häuser vernichtet wurden, aber auch zwei Tote waren zu verzeichnen. Ein Mann wurde bei der Explosion der Bomben völlig zerrissen, sodaß man von seinem Körper nichts mehr gefunden hat und eine Frau starb an den vielen schweren Brandwunden, die sie erhalten hatte.
Die Toten waren der 61 jährige Friseurmeister Robert Henk und die 64 jährige Marie Zimmermann geb. Wright. Frau Zimmermann verstarb am 25.06.1944 im Städtischen Krankenhaus. Sie wurde auf dem Ehrenfriedhof beigesetzt.

Am 20. Juni 2014 wurde in der Kleinschmiedstraße 18 eine Gedenktafel angebracht.

 
 

© 2014 Peter Kieschnick