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Bomben auf Stralsund
am 06. Oktober 1944

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8th US Air Force

Im Januar 1942 wurde die 8. US-Luftflotte als Verband der United States Army Air Forces in Savannah, Georgia aufgestellt. Sie wurde auch die „Mighty Eighth“ genannt. Das Hauptquartier wurde im Mai 1942 nach High Wycombe, Großbritannien, verlegt. Ihr unterstellt waren das VIII. Bomberkommando das VIII. Luftunterstützungskommando und das VIII. Jägerkommando.

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Die Eighth Air Force verfügte Mitte 1944 über rund 2000 schwere Bomber und ca. 1000 Jagdflugzeuge. Die Personalstärke betrug über 200.000 Mann.

Die 8th Air Force hatte wesentlichen Anteil an der Erringung der Luftherrschaft über Europa. Anders als die Briten bombardierten die US-Luftwaffe in Tagangriffe hauptsächlich Industrieanalgagen.

Nach dem Kriegsende in Europa wurde das Hauptquartier im Juli 1945 nach Okinawa und Guam verlegt, um an der Luftoffensive gegen die japanischen Hauptinseln teilzunehmen. Die 8. US-Luftflotte nahm aufgrund der bereits im August erfolgte japanische Kapitulation an keinen Kampfhandlungen mehr teil.

Die 8th US Air Force ist heute eine von zwei aktiven Luftflotten des Air Force Global Strike Command der United States Air Force. Das Hauptquartier befindet sich auf der Barksdale Air Force Base in Louisiana.

Am Freitag den 06.Oktober 1944 machte sich die 8.US Air Force für ihren Einsatz mit der Auftragsnummer 8AF 667 im fernen Großbritannien bereit.

Bereits um 04:00 Uhr (Englische Zeit, nach deutscher Sommerzeit 05:00 Uhr) holte das Personal der Munitionsversorgung die Bomben aus dem Depot. Das Bodenpersonal bereitete die Flugzeuge vor und bei einem Briefing wurden die Ziele ausgegeben.
Insgesamt sollten 1271 Bombenflugzeuge und 784 Begleitjagdflugzeuge starten. Folgende Primäre Ziele wurden zugewiesen:

Die ersten Flugzeuge starteten um 07:30 Uhr. Sie formierten sich über der Wolkendecke auf einer Höhe von 6000 Fuß (ca. 1830 Meter) bis 9000 Fuß (ca. 2740 Meter). Bis alle Flugzeuge ihren Platz in der taktischen Formation „Combat Boxes“ gefunden hatten verging ca. eine Stunde. Durch diese Formation konnten sich die Bomber gegenüber Jagdflugzeuge gut verteidigen. Sie bestand aus drei Gruppen mit jeweils bis zu 12 Flugzeugen. Diese Grundformation konnte entsprechend der Aufgabe erweitert werden.

Die Bomber steigen weiter, bei einer Höhe von über 19000 Fuß (ca. 5800 m) kommt es zur Bildung von Kondensstreifen. Auf einer Höhe von 21000 Fuß (ca. 6000 m) geht die Formation in den Horizontalflug über.

Der Flug des großen Verbands ging in Richtung Schleswig-Holstein.
Die 2.Bomber Division trennte sich mit ihren Begleitjäger vom Verband und flogen nach Hamburg. Auf Hamburg wurden 778,7 US-Tonnen und auf dem Flugplatz Wenzendorf 134 US-Tonnen Bomben abgeworfen (eine US-Tonne entspricht 0,91t). Die 3.Bomber Division hatte das Ziel Berlin, wo sie 921,7 US-Tonnen (836,15 Tonnen) Bomben abwarfen.

Die 1.Bomber Division trennte sich. 73 Bomber flogen nach Neubrandenburg und warfen 177,5 US-Tonnen Bomben auf die Focke-Wulf Flugzeugwerke und dem Flughafen Neubrandenburg-Trollenhagen ab. 199 Bomber flogen zum Fliegerhorst Stargard-Klützow und warfen dort 493 US-Tonnen Bomben ab. Eine kleine Gruppe von 12 Bombern hatte die Stoewer-Werke in Stettin zum Ziel, da wurden 30 US-Tonnen Bomben abgeworfen.

Die Bomber nahmen Kurs auf das Hydrierwerk Pölitz bei Stettin, um es zu bombardieren.
Das Wetterflugzeug der 381. Bomb Group meldete über dem Zielgebiet Pölitz schlechtes Wetter, 9/10 des Zielgebietes war mit Wolken bedeckt. Da Bomben nach Sicht geworfen wurden, musste ein Ausweichziel angeflogen werden. Auch das erste Ausweichziel Peenemünde war von der Luft aus schlecht sichtbar. Deshalb wurde nun das nächste Ausweichziel, die alte Hansestadt am Strelasund angeflogen. Als Ziele sind das Kraftwerk und eine Brücke festgelegt. Ein Teil der Flugzeuge flogen über Rügen und die anderen vom Süden nach Stralsund. [Hier ein Eintrag im Gästebuch vom damaligen Bordschützen in einer B-17 Jere Hogan]

Es gab keine Wolken über der Stadt Stralsund, die Sichtweite betrug 60 Meilen.

Kurs auf Stralsund nahmen folgende Bomb Groups:

Das sind 146 Bomber, die nach Stralsund flogen. Diese Angaben stammen aus den Missionsberichten der einzelnen Bomb Groups. Im Bericht der 8. US-Luftflotte stehen 110 Bomber, die ihre Bomben auf Stralsund abwarfen.
[In der amerikanischen Literatur (Erlebnisberichte und Chroniken) wird meist von 146 B-17 geschrieben. Auch in der deutschen Literatur, z.B. „Der Brand“ von Jörg Friedrich, findet man die Zahl von 146 Bombern. Warum es dieser Unterschied von 36 Flugzeugen, die stärke einer Bomb Group, in der Gesamtaufstellung der 8. US-Luftflotte gibt, ist unbekannt. Die Anzahl von 146 B-17, die über Stralsund ihre Bombenlast abgeworfen haben, kann als gesichert gelten.]

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Bomben auf die Hansestadt Stralsund

Stralsund vor der Zerstörung ca. 1932 
In Stralsund bereitete man sich auf das Wochenende vor. Mädchen und Frauen, die am Ostwall in der Nähe von Schneidemühl eingesetzt waren, durften am 04.10.1944 nach Hause um Wintersachen zu holen. Die Familien freuten sich auf das Wiedersehen. Außerdem war dieser Freitag ein schöner sonniger und leicht bewölkter Herbsttag.

Um 10:00 Uhr meldete der Reichs-Flugwarndienst:
„Achtung! Achtung!
Hier spricht das Flugüberwachungs-Kommando
Wir geben eine Luftlagemeldung!
Ein größerer Verband Feindflugzeuge befindet sich über der Nordsee im Anflug auf das Reichsgebiet.
Wir melden uns in Kürze wieder.“

Um 11:00 Uhr:
„Achtung! Achtung!
Hier spricht das Flugüberwachungs-Kommando
Wir geben eine Luftlagemeldung!
Der gemeldete Verband Feindflugzeuge befindet sich jetzt über Schleswig-Holstein.
Wir melden uns in Kürze wieder.“

Später wurde ein Bomberverband mit starkem Jagdbegleitschutz über Bad Kleinen in Richtung Pasewalk beobachtet. Nun dachte man in Stralsund, dass das Ziel wieder mal Peenemünde sei.
In der Luftschutzleitung Stralsund, in einem Bunker in der Teichstraße der heutigen Friedrich-Engels-Straße, kam die Meldung an, dass der Bomberverband kurz vor Peenemünde nach Rügen abgedreht ist.

Um 11:55 Uhr mitten in der Mittagsvorbereitung ertönte ein heulender auf- und abschwellender Ton der Sirenen in Stralsund – Fliegeralarm!
Im Radio kam die Meldung „Achtung Stralsund Taschenlampe“, dieser Code bedeutete, dass man in den Luftschutzkeller zu gehen hatte.

Die Bomberstaffeln kamen aus südöstlicher Richtung Stralsund näher. Die Menschen sollten sofort die Luftschutzkeller aufsuchen und die Luftschutzhelfer sowie die Brandschutzpolizei sich auf den Luftangriff vorbereiten.

Frankenvorstadt im Bombenhagel
Die sechs Luftbeobachter auf der Marienkirche sichteten aus Richtung Rügen die ersten Flugzeuge. Ein Bomberverband von ca.70 bis 80 Flugzeuge hatte die Insel Rügen überflogen und in Höhe der Stadt Bergen lösten sich ca. 16 Flugzeuge. Sie flogen in einer Höhe von 3000 bis 4000 Meter. Der Abwurfpunkt für Stralsund bei der Franzenshöhe wurde mit vier Rauchbomben gekennzeichnet. Die ersten Bomben fielen auf der Frankenvorstadt.

Um 12:30 Uhr aus einer Höhe von ca. 6000 Meter begann der Bombenabwurf der ersten Welle bestehend aus 37 Bombern der 381. Bomb Group.
Diese traf das Elektrizitätswerk und die Wasserversorgung. Angegriffen wurden auch der Rügendamm, das Hafengebiet, die Frankenvorstadt und das Stadtzentrum. Mit der Ersten Welle wurde das Kraftwerk zerstört und die Ziegelgrabenbrücke beschädigt.

Die zweite Welle wurde 13:00 Uhr gemeldet. Sie bestand aus 36 Bombern der 379. Bomb Group. Diese bombardierten aus einer Höhe von ca. 7620 bis 8130 Meter die Fährhofstraße, Wulflamufer, Mühlenstraße, Mönchstraße, Neuen Markt und auch das Gelände der Zuckerfabrik.

Ca. 13:30 Uhr folgte die dritte Welle in 3000 bis 4000 Meter Höhe. Sie zerstörten das Semlower Tor, das Johanniskloster und trafen die Innenstadt.

Eine vierte Welle warf kurz darauf nochmals Bomben auf die Frankenvorstadt und dem Hafengebiet.
Gegen 14:00 Uhr flogen die letzten Flugzeuge ab. Die Einzelnen Wellen dauerten nur etwa 20 Sekunden!

Jede Bombe zersprang mit einem lauten und scharfen Knall, es gab ein großes Getöse, eine mächtige Staubwolke stieg auf und das Haus, worauf die Bombe gefallen war, wurde mit einem Ruck auseinander gerissen. Große vierstöckige Häuser stürzten nach dem Platzen einer Bombe wie Spielzeug um.
Die Menschen in den Luftschutzkellen hielten sich gegenseitig an den Händen oder klammerten sich an den Stützbalken, das Haus zitterte wie bei einem Erdbeben. Aufheulen, Krachen, Detonationen und immer wieder Aufheulen, Krachen, Detonationen. Wenn die Menschen wieder aufzuatmen begannen, schüttelte sich das Haus von Neuem. Alles denken und besinnen war wie ausgelöscht. Man hatte nur noch Angst, jeder Zeitbegriff war verschwunden.

Kurze Zeit später wurde offiziell mit Handsirenen Entwarnung gegeben. Die zentralen Sirenen funktionierten nicht mehr, da die Stromversorgung ausfiel.

Bei diesem Angriff wurden insgesamt 1359 Sprengbomben von 500 Pfund und 110 Brandbomben von 100 Pfund Gewicht abgeworfen (ein Pfund entspricht 453,59g). Zusammen sind das 345,25 US-Tonnen Bomben die auf die alte Hansestadt Stralsund abgeworfen wurden.

Die Stadt Stralsund hatte sich trotz Sonnenschein völlig verdunkelt. Überall brande es lichterloh, schwarze Rauchwolken stiegen hoch und grauer schwefliger Qualm lag über die Stadt. Trümmer, Trümmer und nochmals Trümmer! Sehr viel Leid, Qualen und der Tod! Die Menschen waren vom Ruß geschwärzt und viele waren blutverschmiert. Man suchte Familienangehörige und versuchte Teile des privaten Besitzes zu retten.

Sprengbomben, die für Industrieanlagen gedacht waren, hatten ganze Straßenzüge zerstört und die Brandbomben setzten die Stadt in Flammen.

Stralsund war zur dieser Zeit eine wehrlose Stadt. Sie wurde für Deutschland als militärisch unbedeutend eingestuft und verfügte nur über wenige leichte Flak-Geschütze, die die anfliegenden Bomber aufgrund deren Flughöhe nicht erreichen konnten. Auch die in Parow stationierten Flieger konnten nicht eingreifen. Die Verbände hatten keine Jagdflugzeuge, die die Bomber hätten abschießen können. Auf dem Flugplatz Parow fiel am 06. Oktober 1944 keine einzige Bombe!

Die genaue Opferzahl des Bombenangriffs auf Stralsund ist nicht bekannt.
Die ersten Opfer waren 30 Arbeiter der Zuckerfabrik, diese befanden sich in einem Splitterschutzbunker, der bereits bei der ersten Angriffswelle einen Volltreffer erhalten hatte. In dem als einzigen Bombensicheren geltenden Luftschutzkeller Stralsunds, in der Semlowerstraße, kam die Frauenärztin Dr. Lotte Kummer mit ihren Patientinnen ums Leben.

Amtlich festgestellte Tote mit dem Stand vom 30. Oktober 1944 waren 687 Zivilpersonen, 27 Soldaten und 54 Kriegsgefangene. Dabei stand die Zahl der Vermissten noch nicht fest und es wurden immer noch Tote nach diesem Datum aus den Trümmern geborgen, die letzten Überreste von Opfern wurden in den 80`er Jahre geborgen.
Ganze Familien sind durch den Angriff und seine Folgen mit einmal ausgelöscht worden. (Hier eine unvollständige namentliche Liste)

Gleich nach dem Bombenangriff ging es an das Retten Verschütteter. In den brennenden Trümmern versuchten die Leute mit ihren Händen den Schutt wegzuräumen, um Angehörige oder Bekannte zu retten. Die im Keller Eingeschlossenen schlugen sich mit Spitzhacken einen Weg zum nächsten Keller.
Die Menschen strömten in die Vorstädte, rauchgeschwärzt oder grau von Mörtel und Asche, blutverschmiert, oder mit notdürftigen Verbänden, mit Koffern und Bündeln, oder Wägelchen hinter sich herziehend. Sie waren ratlos und ziellos, nur bestrebt, die brennende Stadt hinter sich zu lassen. Jammernde, schreiende oder verstört Menschen zeigten hinter sich auf die brennenden Häuser und von riesigen Schutthaufen versperrte Straßen.

In der an allen Enden brennenden Stadt war das Chaos unvorstellbar.

Die Feuerlöschpolizei begann sofort mit der Brandbekämpfung. Die Feuerwehren der umliegenden Gemeinden sowie die Fliegerhorstfeuerwehr Parow begaben sich zu den festgelegten Bereitstellungsplätze: Knieperdamm Ecke Hainholzstraße, Rostocker Chaussee Mühle Schramm bzw.Greifwalder Chaussee Pommerngarten.
Das Löschen der Brände gestaltete sich sehr schwierig. Die Wasserversorgung war zusammengebrochen und es musste Wasser aus den Teichen gepumpt werden. Die Bevölkerung versuchte dabei mit Hilfe von allerlei Gefäße die Brände der Häuser zu löschen. Aber die Brände in der Frankenvorstadt brannten, bis sie keine Nahrung mehr fanden.
In der Altstadt griff das Feuer nach allen Seiten um sich. Das jahrhundertlang ausgetrocknete Gebälk der oft fünffach übereinander gestaffelten Speicher-Böden, brannte wie Stroh. Ganze Straßenzüge standen in Flammen. Die alten Giebel der Badenstraße stürzten einer nach dem anderen krachend und brausend in dem Flammenmeer zusammen.
Auch das Kaufhaus „Zeeck“ und das „Hotel zur Sonne“ standen lichterloh in Flammen.

Es wurden behelfsmäßige Ambulanzstationen schnell errichtet, wo in stickigen Kellern Ärzte und Schwestern bei Kerzen fieberhaft arbeiten und doch gegen die Menge der Verwundeten gar nicht ankamen.
Verletzte mit schneebleichen, von Blut und Schmutz entstellten Gesichtern lagen im belegten Krankenhaus, ohne dass sich jemand um sie kümmern konnte.
Der größte Teil der Bombenverletzten wurden nach Greifswald, in das Marinelazarett Stralsund und in das Hilfskrankenhaus in der früheren Provinzial-Heilanstalt sowie auch in das Hilfskrankenhaus Damgarten gebracht.

Matrosen des 1.Schiffsstammregiments wurden als Hilfskräfte zur Bergung der Verletzen und zur Beseitigung der Trümmer eingesetzt. Auch die Bevölkerung aus dem Umland halfen, so z.B. wurden mit einem Pferdefuhrwerk Verletzte nach Jakobsdorf gebracht.
Tote wurden im Reitstall an der Ecke Mühlenstraße/Mönchstraße, in der Marienkirche und in Schulen aufgebahrt. Überlebende mussten sich in der Sammelstelle im Marinelager Werftstraße melden. Dort wurden sie registriert, indem sie ein Formular ausfüllen mussten. Auch bekamen sie ein Bezugsscheinheft für Lebensmittel und Sachwerte.
An Verpflegungsstellen, wie die in der Mühlenstraße und der Mittelschule am Frankenwall, wurde kaltes und warmes Essen und Kaffee ausgegeben.

 

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Das Leben danach

Die Suche nach Lebenden unter den Trümmern ging tagelang weiter. So hörte man in der Sarnowstraße Klopfzeichen. Tag und Nacht hockten die Angehörigen dort, pressten das Ohr an die Erde, lauschten angstvoll und klopften: „Geduld, Geduld, Wir kommen.“ Und immer wieder gab es schwache Antwort von unten. Mit Spaten und Hacken hat man es geschafft. Grün und fahl zog man einige der Verschütteten lebend ans Licht. Doch sie waren nicht mehr imstande, sich aufrecht zu halten und starben nach wenigen Stunden im Krankenhaus.

Heilgeiststraße 
Der ganze Umfang der Zerstörungen war erst an den  nächsten Tagen sichtbar.
Besonders schwer wurden die Frankenvorstadt und die Innenstadt getroffen. Die Bomben hatten ganze Straßenzüge fast vollständig zerstört, wie die Reiferbahn, die Hafenstraße, die untere Badenstraße, der Kleiner und Großer Diebsteig, der Kleiner Plauderberg und Großer Plauderberg. In der Gartenstraße lagen nur noch Berge von Steinen! Große Schäden gab es im Apollonienmarkt, der Heilgeiststraße, Semlowerstraße, Fährstraße, Filterstraße, Mauerstraße, Wasserstraße, Ossenreyerstraße und Wulflamufer auch in der Dänholmstraße und Mönchstraße.

Es wurden 386 Gebäude, 133 Geschäfte und 17500 m² Gewerberaum zerstört. 176 Wohnhäuser waren so stark beschädigt, das sie nicht bewohnbar waren. Fast 47 % des städtischen Wohnraums, ca. 8000 Wohnungen, wurde zerstört. Es gab zwischen 12000 und 14000 Obdachlose. Lücken in der Bebauung, die dieser Bombenangriff verursacht hatte, findet man noch heute.

Auch wurde Baugeschichte der Stadt zerstört. Dreiundvierzig Baudenkmale gab es nicht mehr, so das Semlower Tor  [Postkarte], die Johanniskirche, der Kreuzgang im Johanniskloster [Postkarte], das Gebäude der Schiffercompagnie, das Wrangelsche Palais, das Löwensche Palais, das Palais Meyerfeld und die Ratsapotheke. Die Stralsunder Kirchen wurden schwer beschädigt.

Hafen Stralsund
Die Zuckerfabrik und das Elektrizitätswerk wurden schwer getroffen. Wichtige Industrie- und Verkehrsanlagen wurden stark beschädigt, wie Werftanlagen, das Straßenbahndepot und die Fischverwertungshalle in den Strela-Fischwerken.
Der Hafen glich einer Kraterlandschaft. Auf 500.000 Reichsmark wurden die Kosten für die Beseitigung der Schäden im Hafen geschätzt. Dazu gehörten Beschädigungen der Gebäude, Brücken, Kaianlagen und Uferbefestigungen. Auch wurden 16 Seefahrzeuge versenkt bzw. schwer beschädigt, so der Tender „Heimat“, Vermessungsschiff „Triton“, Tankschiff „Schwentine“, zwei Kähne und drei Zeesenboote.

Das Leben nach dem Bombenangriff ging irgendwie weiter. Die Hilfsbereitschaft war groß.
Aber es wurden auch Geschäfte geplündert und private Gegenstände gestohlen.
Man versuchte aus den zerstörten und ausgebrannten Häusern alles was noch brauchbar war zu bergen und sicherzustellen. So wurde z.B. in der Nikolaikirche Koffer und Körbe, Kochtöpfe und Lebensmittel, Betten und Stühle, Mäntel, Schuhe usw. hinein geschafft.

Die Not in der Hansestadt ist unvorstellbar. Zehntausende Menschen, die kein Bett, kein Kochtopf, keinen Teller, keinen Löffel mehr hatten. Und kein einziges Lebensmittelgeschäft, keine Bäckerei in der ganzen Stadt hatte was zu verkaufen, weil ja Strom und Licht fehlte.
Alle Maßnahmen der Behörden und der pausenlose Einsatz der Hilfsorganisationen waren dem Umfang des Elends nicht gewachsen.

Überall arbeiteten Militär- und Arbeits-Kolonnen, um die Straßen wieder gangbar zu machen, aber sie kamen kaum voran; zu gewaltig sind die Schutt- und Trümmerberge. Immer wieder stürzt eine Hausruine zusammen, oder flammt ein Brand auf.

Blindgänger mussten gesichert und entschärft werden, besonders am Ostkreuz. Auch 1953 wurden noch Blindgänger im Großen Diebsteig bei Enttrümmerungsarbeiten gefunden.

Die Telefonverbindungen funktionierten am 7. Oktober 1944 bereits zum größten Teil wieder. Die Strom- und Wasserversorgung dauerte noch einige Wochen bis sie teilweise gesichert war. Deshalb wurde das Trinkwasser durch Bauern aus der Umgebung mit Tankkesseln herangeschafft.

Das „Haus der Arbeit“ wurde zum Massenlager und Verpflegungsstation für die Obdachlosen. Dort gab es ein Tisch, auf dem kleine Kinder saßen, die man elternlos in den Straßen aufgriff oder in Kellern fand. Kinder mit zerrissenen Kleidern und Verbänden um Kopf oder Füßchen, schmutzige, kleine verstummte und verängstige Wesen.

Die durch den Angriff obdachlos gewordene Bevölkerung wurde in den Vorstädten Stralsunds oder auf den Dörfern in der Nähe Stralsund untergebracht.

Beerdigung auf den Heldenfriedhof, heute Zentralfriedhof 
Für die deutschen Toten des Bombenangriffs ordnete die NSDAP für den 12. und 16. Oktober 1944 Massenbegräbnisse auf dem Zentralfriedhof an der Prohner Straße an. Diese Begräbnisse gestalteten sich zur einer Propaganda Veranstaltung. Es wurden Durchhalteparolen und vom Sieg der eigenen Waffen durch die offiziellen Vertretern der NSDAP gesprochen. Eine dritte Beisetzungsfeier fand am 07. November 1944 statt.

Bei vielen Leichen war die Identifizierung sehr schwer. Tote wurden u.a. an Hand von Schürzenfetzen und Handtaschen erkannt. [hier Bericht eines Zeitzeugen]
Die Leichen wurden am 13. Oktober freigegeben. [hier ein weiterer Bericht] Außer der oben genannten zentralen Begräbnisfeier fanden auch ab dem 13. Oktober auf dem Neuen und Alten Frankenfriedhof Beerdigungen statt. Tote wurden auch auf den Friedhöfen der umliegenden Kirchengemeinden beerdigt, z.B. in Steinhagen, Triebsees, Richtenberg sowie auch in Bodtstedt, Grimmen und Stargard und wie auf dem Grabstein, siehe unten, eine ganze Familie aus Pütte.

Grabstein in Pütte bei Stralsund

Bei den Straßenräumungen sowie der Aufräumungsarbeiten bei den Versorgungsbetrieben halfen Wehrmachtsarbeitskommandos von täglich über 200 Mann.

Zum Sonntag den 15. Oktober wurden alle arbeitsfähigen männlichen Bürger aufgerufen an der Beseitigung der Schäden mitzuwirken. Ein weiterer Einsatz aller Stralsunder Männer und Frauen erfolgte am Sonntag den 22. Oktober. Für den Sonntag den 29. Oktober 1944 erfolgte wieder ein Aufruf an alle Männer Aufräumungsarbeiten zu leisten.

Bei weiteren Öffentlicher Luftwarnungen und Fliegeralarm verließen die Stralsunder fluchtartig das Stadtinnere, das Vertrauen zu den Schutzräumen und Deckungsgräben war verloren.

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Zum Gedenken

Zum Andenken an die Opfer des Bombenangriffs auf Stralsund läuten die Kirchenglocken seit 2004 am 06.Oktober um 12 Uhr jedes Jahres.

Auf Vorschlag von Privatpersonen, des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge e.V. und der Bürgerschaft der Hansestadt wurde eine Gedenktafel zu Ehren der toten Bürger in der Innenstadt von Stralsund angebracht.

Nagelkreuz in der Marienkirche Stralsund

Die Geschichte des Nagelkreuzgedankens begann mit der „Operation Mondscheinsonate“ der deutschen Luftwaffe, dem schweren Luftangriff auf Coventry vom 14. November 1940, bei dem 550 Menschen starben und bei dem mit großen Teilen der Innenstadt sowie Industrieanlagen auch die spätmittelalterliche St. Michael’s Kathedrale zerstört wurden.

Der damalige Dompropst Richard Howard ließ bei den Aufräumarbeiten drei große Zimmermannsnägel aus dem Dachstuhl der zerstörten Kathedrale, die aus den Trümmern geborgen wurden, zu einem Kreuz zusammensetzen. Er ließ außerdem die Worte „FATHER FORGIVE“ (Vater vergib) in die Chorwand der Ruine meißeln und aus zwei verkohlten Holzbalken ein großes Kreuz zusammensetzen.

Während das Holzkreuz in der Ruine der alten Kathedrale blieb, steht das originale Nagelkreuz heute auf dem Altar der benachbarten, 1962 geweihten neuen Kathedrale. Es gilt als Zeichen der Versöhnung und des Friedens.

Der Gedanke einer Gemeinschaft von Nagelkreuzzentren wurde von Bill Williams, Dompropst in Coventry von 1958 bis 1981, entwickelt. Weltweit haben sich ökumenische Glaubensgemeinschaften als Nagelkreuzgemeinschaft gebildet. Ihr gehören in Deutschland derzeit 59 Gemeinden aus 46 Städten an; weltweit sind es derzeit über 160. Seit 2005 gibt es auch das Nagelkreuzzentrum St. Marien Stralsund.

Im Jahre 1959 wurde das Versöhnungsgebet von Coventry formuliert und wird seitdem an jedem Freitagmittag um 12.00 Uhr im Chorraum der Ruine der alten Kathedrale in Coventry gebetet.

Alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten. (Römer 3,23)
Darum beten wir:
Den Haß, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse:
VATER; VERGIB!
Das habsüchtige Streben der Menschen und Völker, zu besitzen, was nicht ihr eigen ist:
VATER; VERGIB!
Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet.
VATER; VERGIB!
Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der anderen:
VATER; VERGIB!
Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Heimatlosen und Flüchtlinge:
VATER; VERGIB!
Die Sucht nach dem Rausch, der Leib und Leben zugrunde richtet:
VATER; VERGIB!
Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf Gott:
VATER; VERGIB!
Seid untereinander freundlich, herzlich und vergebt einer dem anderen, gleichwie Gott Euch vergeben hat in Christus. (Epheser 4,32)
AMEN“

Auch ein Friedensgebet / Andacht findet jährlich in einer der Stralsunder Kirchen am 6. Oktober statt. Dabei nehmen auch Gäste aus anderen Kirchengemeinden teil.

 

Einige der Gedenksteine auf dem Zentralfriedhof von Stralsund: 

     

   

Erinnerung und Trauer, an die vielen Opfer mit der Hoffnung, dass sich solches nie wiederholen werde. 

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© 2010 - 2014 Peter Kieschnick