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Im
Januar 1942 wurde die 8. US-Luftflotte als Verband der United States Army Air
Forces in Savannah, Georgia aufgestellt. Sie wurde auch die „Mighty Eighth“
genannt. Das Hauptquartier wurde im Mai 1942 nach High Wycombe, Großbritannien,
verlegt. Ihr unterstellt waren das VIII. Bomberkommando das VIII.
Luftunterstützungskommando und das VIII. Jägerkommando.
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Die 8th Air Force hatte wesentlichen Anteil an der Erringung der Luftherrschaft über Europa. Anders als die Briten bombardierten die US-Luftwaffe in Tagangriffe hauptsächlich Industrieanalgagen.
Nach dem Kriegsende in Europa wurde das Hauptquartier im Juli 1945 nach Okinawa und Guam verlegt, um an der Luftoffensive gegen die japanischen Hauptinseln teilzunehmen. Die 8. US-Luftflotte nahm aufgrund der bereits im August erfolgte japanische Kapitulation an keinen Kampfhandlungen mehr teil.
Die 8th US Air Force ist heute eine von zwei aktiven Luftflotten des Air Force Global Strike Command der United States Air Force. Das Hauptquartier befindet sich auf der Barksdale Air Force Base in Louisiana.
Am Freitag den 06.Oktober 1944 machte sich die 8.US Air Force
für ihren Einsatz mit der Auftragsnummer 8AF 667 im fernen Großbritannien
bereit.
Bereits um 04:00 Uhr (Englische Zeit, nach deutscher Sommerzeit 05:00 Uhr) holte
das Personal der Munitionsversorgung die Bomben aus dem Depot. Das Bodenpersonal
bereitete die Flugzeuge vor und bei einem Briefing wurden die Ziele ausgegeben.
Insgesamt sollten 1271 Bombenflugzeuge und 784 Begleitjagdflugzeuge starten.
Folgende Primäre Ziele wurden zugewiesen:
Die
ersten Flugzeuge starteten um 07:30 Uhr. Sie formierten sich über der
Wolkendecke auf einer Höhe von 6000 Fuß (ca. 1830 Meter) bis 9000 Fuß (ca. 2740
Meter). Bis alle Flugzeuge ihren Platz in der taktischen Formation „Combat
Boxes“ gefunden hatten verging ca. eine Stunde. Durch diese Formation konnten
sich die Bomber gegenüber Jagdflugzeuge gut verteidigen. Sie bestand aus drei
Gruppen mit jeweils bis zu 12 Flugzeugen. Diese Grundformation konnte
entsprechend der Aufgabe erweitert werden.
Die
Bomber steigen weiter, bei einer Höhe von über 19000 Fuß (ca. 5800 m) kommt es
zur Bildung von Kondensstreifen. Auf einer Höhe von 21000 Fuß (ca. 6000 m) geht
die Formation in den Horizontalflug über.
Der Flug des großen Verbands ging in Richtung Schleswig-Holstein.
Die
2.Bomber Division trennte sich mit ihren Begleitjäger vom Verband und flogen
nach Hamburg. Auf Hamburg wurden 778,7 US-Tonnen und auf dem Flugplatz
Wenzendorf 134 US-Tonnen Bomben abgeworfen (eine US-Tonne entspricht 0,91t). Die
3.Bomber Division hatte das Ziel Berlin, wo sie 921,7 US-Tonnen (836,15 Tonnen)
Bomben abwarfen.
Die 1.Bomber Division trennte sich. 73 Bomber flogen nach Neubrandenburg und warfen 177,5 US-Tonnen Bomben auf die Focke-Wulf Flugzeugwerke und dem Flughafen Neubrandenburg-Trollenhagen ab. 199 Bomber flogen zum Fliegerhorst Stargard-Klützow und warfen dort 493 US-Tonnen Bomben ab. Eine kleine Gruppe von 12 Bombern hatte die Stoewer-Werke in Stettin zum Ziel, da wurden 30 US-Tonnen Bomben abgeworfen.
Die
Bomber nahmen Kurs auf das Hydrierwerk Pölitz bei Stettin, um es zu
bombardieren.
Das Wetterflugzeug der 381. Bomb Group meldete über dem
Zielgebiet Pölitz schlechtes Wetter, 9/10 des Zielgebietes war mit Wolken
bedeckt. Da Bomben nach Sicht geworfen wurden, musste ein Ausweichziel
angeflogen werden. Auch das erste Ausweichziel Peenemünde war von der Luft aus
schlecht sichtbar. Deshalb wurde nun das nächste Ausweichziel, die alte
Hansestadt am Strelasund angeflogen. Als Ziele sind das Kraftwerk und eine
Brücke festgelegt. Ein Teil der Flugzeuge flogen über Rügen und die anderen vom
Süden nach Stralsund. [Hier ein Eintrag im Gästebuch
vom damaligen Bordschützen in einer B-17 Jere Hogan]
Es gab keine Wolken über der Stadt Stralsund, die Sichtweite betrug 60 Meilen.
Kurs auf Stralsund nahmen folgende Bomb Groups:
Das sind 146 Bomber, die nach Stralsund flogen. Diese Angaben stammen aus den
Missionsberichten der einzelnen Bomb Groups. Im Bericht der 8. US-Luftflotte
stehen 110 Bomber, die ihre Bomben auf Stralsund abwarfen.
[In der
amerikanischen Literatur (Erlebnisberichte und Chroniken) wird meist von 146
B-17 geschrieben. Auch in der deutschen Literatur, z.B. „Der Brand“ von Jörg
Friedrich, findet man die Zahl von 146 Bombern. Warum es dieser Unterschied von
36 Flugzeugen, die stärke einer Bomb Group, in der Gesamtaufstellung der 8.
US-Luftflotte gibt, ist unbekannt. Die Anzahl von 146 B-17, die über Stralsund
ihre Bombenlast abgeworfen haben, kann als gesichert gelten.]
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Stralsund vor der Zerstörung ca. 1932 |
Um 10:00 Uhr meldete der Reichs-Flugwarndienst:
„Achtung! Achtung!
Hier
spricht das Flugüberwachungs-Kommando
Wir geben eine Luftlagemeldung!
Ein
größerer Verband Feindflugzeuge befindet sich über der Nordsee im Anflug auf das
Reichsgebiet.
Wir melden uns in Kürze wieder.“
Um 11:00 Uhr:
„Achtung! Achtung!
Hier spricht das
Flugüberwachungs-Kommando
Wir geben eine Luftlagemeldung!
Der gemeldete
Verband Feindflugzeuge befindet sich jetzt über Schleswig-Holstein.
Wir
melden uns in Kürze wieder.“
Später wurde ein Bomberverband mit starkem Jagdbegleitschutz über Bad Kleinen
in Richtung Pasewalk beobachtet. Nun dachte man in Stralsund, dass das Ziel
wieder mal Peenemünde sei.
In der Luftschutzleitung Stralsund, in einem
Bunker in der Teichstraße der heutigen Friedrich-Engels-Straße, kam die Meldung
an, dass der Bomberverband kurz vor Peenemünde nach Rügen abgedreht ist.
Um 11:55 Uhr mitten in der Mittagsvorbereitung ertönte ein
heulender auf- und
abschwellender Ton der Sirenen in Stralsund – Fliegeralarm!
Im Radio kam die Meldung „Achtung Stralsund Taschenlampe“, dieser Code
bedeutete, dass man in den Luftschutzkeller zu gehen hatte.
Die Bomberstaffeln kamen aus südöstlicher Richtung Stralsund näher. Die Menschen
sollten sofort die Luftschutzkeller aufsuchen und die Luftschutzhelfer sowie die
Brandschutzpolizei sich auf den Luftangriff vorbereiten.
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Frankenvorstadt im Bombenhagel |
Um 12:30 Uhr aus einer Höhe von ca. 6000 Meter begann der Bombenabwurf der
ersten Welle bestehend aus 37 Bombern der 381. Bomb Group.
Diese traf das
Elektrizitätswerk und die Wasserversorgung. Angegriffen wurden auch der
Rügendamm, das Hafengebiet, die Frankenvorstadt und das Stadtzentrum. Mit der
Ersten Welle wurde das Kraftwerk zerstört und die Ziegelgrabenbrücke beschädigt.
Die zweite Welle wurde 13:00 Uhr gemeldet. Sie bestand aus 36 Bombern der
379. Bomb Group. Diese bombardierten aus einer Höhe von ca. 7620 bis 8130 Meter
die Fährhofstraße, Wulflamufer, Mühlenstraße, Mönchstraße, Neuen Markt und auch
das Gelände der Zuckerfabrik.
Ca. 13:30 Uhr folgte die dritte Welle in 3000 bis 4000 Meter Höhe. Sie zerstörten das Semlower Tor, das Johanniskloster und trafen die Innenstadt.
Eine vierte Welle warf kurz darauf nochmals Bomben auf die Frankenvorstadt
und dem Hafengebiet.
Gegen 14:00 Uhr flogen die letzten Flugzeuge ab. Die
Einzelnen Wellen dauerten nur etwa 20 Sekunden!
Jede Bombe zersprang mit einem lauten und scharfen Knall, es gab ein großes
Getöse, eine mächtige Staubwolke stieg auf und das Haus, worauf die Bombe
gefallen war, wurde mit einem Ruck auseinander gerissen. Große vierstöckige
Häuser stürzten nach dem Platzen einer Bombe wie Spielzeug um.
Die Menschen
in den Luftschutzkellen hielten sich gegenseitig an den Händen oder klammerten
sich an den Stützbalken, das Haus zitterte wie bei einem Erdbeben. Aufheulen,
Krachen, Detonationen und immer wieder Aufheulen, Krachen, Detonationen. Wenn
die Menschen wieder aufzuatmen begannen, schüttelte sich das Haus von Neuem.
Alles denken und besinnen war wie ausgelöscht. Man hatte nur noch Angst, jeder
Zeitbegriff war verschwunden.
Kurze Zeit später wurde offiziell mit Handsirenen Entwarnung gegeben. Die zentralen Sirenen funktionierten nicht mehr, da die Stromversorgung ausfiel.
Bei diesem Angriff wurden insgesamt 1359 Sprengbomben von 500 Pfund und 110 Brandbomben von 100 Pfund Gewicht abgeworfen (ein Pfund entspricht 453,59g). Zusammen sind das 345,25 US-Tonnen Bomben die auf die alte Hansestadt Stralsund abgeworfen wurden.
Die Stadt Stralsund hatte sich trotz Sonnenschein völlig verdunkelt. Überall brande es lichterloh, schwarze Rauchwolken stiegen hoch und grauer schwefliger Qualm lag über die Stadt. Trümmer, Trümmer und nochmals Trümmer! Sehr viel Leid, Qualen und der Tod! Die Menschen waren vom Ruß geschwärzt und viele waren blutverschmiert. Man suchte Familienangehörige und versuchte Teile des privaten Besitzes zu retten.
Sprengbomben, die für Industrieanlagen gedacht waren, hatten ganze Straßenzüge zerstört und die Brandbomben setzten die Stadt in Flammen.
Stralsund war zur dieser Zeit eine wehrlose Stadt. Sie wurde für Deutschland als militärisch unbedeutend eingestuft und verfügte nur über wenige leichte Flak-Geschütze, die die anfliegenden Bomber aufgrund deren Flughöhe nicht erreichen konnten. Auch die in Parow stationierten Flieger konnten nicht eingreifen. Die Verbände hatten keine Jagdflugzeuge, die die Bomber hätten abschießen können. Auf dem Flugplatz Parow fiel am 06. Oktober 1944 keine einzige Bombe!
Die
genaue Opferzahl des Bombenangriffs auf Stralsund ist nicht bekannt.
Die
ersten Opfer waren 30 Arbeiter der Zuckerfabrik, diese befanden sich in einem
Splitterschutzbunker, der bereits bei der ersten Angriffswelle einen Volltreffer
erhalten hatte. In dem als einzigen Bombensicheren geltenden Luftschutzkeller
Stralsunds, in der Semlowerstraße, kam die Frauenärztin Dr. Lotte Kummer mit ihren Patientinnen
ums Leben.
Amtlich festgestellte Tote mit dem Stand vom 30. Oktober 1944 waren 687
Zivilpersonen, 27 Soldaten und 54 Kriegsgefangene. Dabei stand die Zahl der
Vermissten noch nicht fest und es wurden immer noch Tote nach diesem Datum aus
den Trümmern geborgen, die letzten Überreste von Opfern wurden in den 80`er
Jahre geborgen.
Ganze Familien sind durch den Angriff und seine Folgen mit
einmal ausgelöscht worden. (Hier eine unvollständige
namentliche Liste)
Gleich nach dem Bombenangriff ging es an das Retten Verschütteter. In den
brennenden Trümmern versuchten die Leute mit ihren Händen den Schutt
wegzuräumen, um Angehörige oder Bekannte zu retten. Die im Keller
Eingeschlossenen schlugen sich mit Spitzhacken einen Weg zum nächsten Keller.
Die Menschen strömten in die Vorstädte, rauchgeschwärzt oder grau von Mörtel
und Asche, blutverschmiert, oder mit notdürftigen Verbänden, mit Koffern und
Bündeln, oder Wägelchen hinter sich herziehend. Sie waren ratlos und ziellos,
nur bestrebt, die brennende Stadt hinter sich zu lassen. Jammernde, schreiende
oder verstört Menschen zeigten hinter sich auf die brennenden Häuser und von
riesigen Schutthaufen versperrte Straßen.
In der an allen Enden brennenden Stadt war das Chaos unvorstellbar.
Die Feuerlöschpolizei begann sofort mit der Brandbekämpfung. Die Feuerwehren
der umliegenden Gemeinden sowie die Fliegerhorstfeuerwehr Parow begaben sich zu
den festgelegten Bereitstellungsplätze: Knieperdamm Ecke Hainholzstraße,
Rostocker Chaussee Mühle Schramm bzw.Greifwalder Chaussee Pommerngarten.
Das Löschen der Brände gestaltete sich sehr
schwierig. Die Wasserversorgung war zusammengebrochen und es musste Wasser aus
den Teichen gepumpt werden. Die Bevölkerung versuchte dabei mit Hilfe von
allerlei Gefäße die Brände der Häuser zu löschen. Aber die Brände in der
Frankenvorstadt brannten, bis sie keine Nahrung mehr fanden.
In der Altstadt
griff das Feuer nach allen Seiten um sich. Das jahrhundertlang ausgetrocknete
Gebälk der oft fünffach übereinander gestaffelten Speicher-Böden, brannte wie
Stroh. Ganze Straßenzüge standen in Flammen. Die alten Giebel der Badenstraße
stürzten einer nach dem anderen krachend und brausend in dem Flammenmeer
zusammen.
Auch das Kaufhaus „Zeeck“ und das „Hotel zur Sonne“ standen
lichterloh in Flammen.
Es wurden behelfsmäßige Ambulanzstationen schnell errichtet, wo in stickigen
Kellern Ärzte und Schwestern bei Kerzen fieberhaft arbeiten und doch gegen die
Menge der Verwundeten gar nicht ankamen.
Verletzte mit schneebleichen, von
Blut und Schmutz entstellten Gesichtern lagen im belegten Krankenhaus, ohne dass
sich jemand um sie kümmern konnte.
Der größte Teil der Bombenverletzten
wurden nach Greifswald, in das Marinelazarett Stralsund und in das
Hilfskrankenhaus in der früheren Provinzial-Heilanstalt sowie auch in das
Hilfskrankenhaus Damgarten gebracht.
Matrosen des 1.Schiffsstammregiments wurden als Hilfskräfte zur Bergung der
Verletzen und zur Beseitigung der Trümmer eingesetzt. Auch die Bevölkerung aus
dem Umland halfen, so z.B. wurden mit einem Pferdefuhrwerk Verletzte nach
Jakobsdorf gebracht.
Tote wurden im Reitstall an der Ecke
Mühlenstraße/Mönchstraße, in der Marienkirche und in Schulen aufgebahrt.
Überlebende mussten sich in der
Sammelstelle
im Marinelager Werftstraße melden. Dort wurden sie registriert, indem sie ein
Formular ausfüllen mussten. Auch bekamen sie ein Bezugsscheinheft für
Lebensmittel und Sachwerte.
An Verpflegungsstellen, wie die in der
Mühlenstraße und der Mittelschule am Frankenwall, wurde kaltes und warmes Essen
und Kaffee ausgegeben.
Die Suche nach Lebenden unter den Trümmern ging tagelang weiter. So hörte man in der Sarnowstraße Klopfzeichen. Tag und Nacht hockten die Angehörigen dort, pressten das Ohr an die Erde, lauschten angstvoll und klopften: „Geduld, Geduld, Wir kommen.“ Und immer wieder gab es schwache Antwort von unten. Mit Spaten und Hacken hat man es geschafft. Grün und fahl zog man einige der Verschütteten lebend ans Licht. Doch sie waren nicht mehr imstande, sich aufrecht zu halten und starben nach wenigen Stunden im Krankenhaus.
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Heilgeiststraße |
Es wurden 386 Gebäude, 133 Geschäfte und 17500 m² Gewerberaum zerstört.
176 Wohnhäuser waren so stark beschädigt, das sie nicht bewohnbar waren. Fast 47
% des städtischen Wohnraums, ca. 8000 Wohnungen, wurde zerstört. Es gab zwischen
12000 und 14000 Obdachlose. Lücken in der Bebauung, die dieser Bombenangriff
verursacht hatte, findet man noch heute.
Auch wurde Baugeschichte der Stadt zerstört. Dreiundvierzig Baudenkmale gab es nicht mehr, so das Semlower Tor [Postkarte], die Johanniskirche, der Kreuzgang im Johanniskloster [Postkarte], das Gebäude der Schiffercompagnie, das Wrangelsche Palais, das Löwensche Palais, das Palais Meyerfeld und die Ratsapotheke. Die Stralsunder Kirchen wurden schwer beschädigt.
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Hafen Stralsund |
Das Leben nach dem Bombenangriff ging irgendwie weiter. Die Hilfsbereitschaft
war groß.
Aber es wurden auch Geschäfte geplündert und private Gegenstände
gestohlen.
Man versuchte aus den zerstörten und ausgebrannten Häusern alles
was noch brauchbar war zu bergen und sicherzustellen. So wurde z.B. in der
Nikolaikirche Koffer und Körbe, Kochtöpfe und Lebensmittel, Betten und Stühle,
Mäntel, Schuhe usw. hinein geschafft.
Die Not in der Hansestadt ist unvorstellbar. Zehntausende Menschen, die kein
Bett, kein Kochtopf, keinen Teller, keinen Löffel mehr hatten. Und kein einziges
Lebensmittelgeschäft, keine Bäckerei in der ganzen Stadt hatte was zu verkaufen,
weil ja Strom und Licht fehlte.
Alle Maßnahmen der Behörden und der
pausenlose Einsatz der Hilfsorganisationen waren dem Umfang des Elends nicht
gewachsen.
Überall arbeiteten Militär- und Arbeits-Kolonnen, um die Straßen wieder gangbar zu machen, aber sie kamen kaum voran; zu gewaltig sind die Schutt- und Trümmerberge. Immer wieder stürzt eine Hausruine zusammen, oder flammt ein Brand auf.
Blindgänger mussten gesichert und entschärft werden, besonders am Ostkreuz. Auch 1953 wurden noch Blindgänger im Großen Diebsteig bei Enttrümmerungsarbeiten gefunden.
Die Telefonverbindungen funktionierten am 7. Oktober 1944 bereits zum größten Teil wieder. Die Strom- und Wasserversorgung dauerte noch einige Wochen bis sie teilweise gesichert war. Deshalb wurde das Trinkwasser durch Bauern aus der Umgebung mit Tankkesseln herangeschafft.
Das „Haus der Arbeit“ wurde zum Massenlager und Verpflegungsstation für die Obdachlosen. Dort gab es ein Tisch, auf dem kleine Kinder saßen, die man elternlos in den Straßen aufgriff oder in Kellern fand. Kinder mit zerrissenen Kleidern und Verbänden um Kopf oder Füßchen, schmutzige, kleine verstummte und verängstige Wesen.
Die durch den Angriff obdachlos gewordene Bevölkerung wurde in den Vorstädten Stralsunds oder auf den Dörfern in der Nähe Stralsund untergebracht.
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Beerdigung auf den Heldenfriedhof, heute Zentralfriedhof |
Bei vielen Leichen war die Identifizierung sehr schwer. Tote wurden u.a. an Hand
von Schürzenfetzen und Handtaschen erkannt. [hier
Bericht eines Zeitzeugen]
Die Leichen wurden am 13. Oktober
freigegeben. [hier ein weiterer
Bericht] Außer der oben genannten zentralen Begräbnisfeier fanden auch ab
dem 13. Oktober auf dem Neuen und Alten Frankenfriedhof Beerdigungen statt. Tote
wurden auch auf den Friedhöfen der umliegenden Kirchengemeinden beerdigt, z.B.
in Steinhagen, Triebsees, Richtenberg sowie auch in Bodtstedt, Grimmen und
Stargard und wie auf dem Grabstein, siehe unten, eine ganze Familie aus Pütte.
Grabstein in Pütte bei Stralsund |
Bei den Straßenräumungen sowie der Aufräumungsarbeiten bei den Versorgungsbetrieben halfen Wehrmachtsarbeitskommandos von täglich über 200 Mann.
Zum
Sonntag den 15. Oktober wurden alle arbeitsfähigen männlichen Bürger aufgerufen
an der Beseitigung der Schäden mitzuwirken. Ein weiterer Einsatz aller
Stralsunder Männer und Frauen erfolgte am Sonntag den 22. Oktober. Für den
Sonntag den 29. Oktober 1944 erfolgte wieder ein Aufruf an alle Männer
Aufräumungsarbeiten zu leisten.
Bei weiteren Öffentlicher Luftwarnungen und Fliegeralarm verließen die Stralsunder fluchtartig das Stadtinnere, das Vertrauen zu den Schutzräumen und Deckungsgräben war verloren.
Zum Andenken an die Opfer des Bombenangriffs auf Stralsund läuten die Kirchenglocken seit 2004 am 06.Oktober um 12 Uhr jedes Jahres.
Auf Vorschlag von Privatpersonen, des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge e.V. und der Bürgerschaft der Hansestadt wurde eine Gedenktafel zu Ehren der toten Bürger in der Innenstadt von Stralsund angebracht.
Nagelkreuz in der Marienkirche Stralsund
Die
Geschichte des Nagelkreuzgedankens begann mit der „Operation Mondscheinsonate“
der deutschen Luftwaffe, dem schweren Luftangriff auf Coventry vom 14. November
1940, bei dem 550 Menschen starben und bei dem mit großen Teilen der Innenstadt
sowie Industrieanlagen auch die spätmittelalterliche St. Michael’s Kathedrale
zerstört wurden.
Der damalige Dompropst Richard Howard ließ bei den Aufräumarbeiten drei große Zimmermannsnägel aus dem Dachstuhl der zerstörten Kathedrale, die aus den Trümmern geborgen wurden, zu einem Kreuz zusammensetzen. Er ließ außerdem die Worte „FATHER FORGIVE“ (Vater vergib) in die Chorwand der Ruine meißeln und aus zwei verkohlten Holzbalken ein großes Kreuz zusammensetzen.
Während das Holzkreuz in der Ruine der alten Kathedrale blieb, steht das originale Nagelkreuz heute auf dem Altar der benachbarten, 1962 geweihten neuen Kathedrale. Es gilt als Zeichen der Versöhnung und des Friedens.
Der Gedanke einer Gemeinschaft von Nagelkreuzzentren wurde von Bill Williams, Dompropst in Coventry von 1958 bis 1981, entwickelt. Weltweit haben sich ökumenische Glaubensgemeinschaften als Nagelkreuzgemeinschaft gebildet. Ihr gehören in Deutschland derzeit 59 Gemeinden aus 46 Städten an; weltweit sind es derzeit über 160. Seit 2005 gibt es auch das Nagelkreuzzentrum St. Marien Stralsund.
Im Jahre 1959 wurde das Versöhnungsgebet von Coventry formuliert und wird seitdem an jedem Freitagmittag um 12.00 Uhr im Chorraum der Ruine der alten Kathedrale in Coventry gebetet.
„Alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott
haben sollten. (Römer 3,23) Darum beten wir: Den Haß, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse: VATER; VERGIB! Das habsüchtige Streben der Menschen und Völker, zu besitzen, was nicht ihr eigen ist: VATER; VERGIB! Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet. VATER; VERGIB! Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der anderen: VATER; VERGIB! Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Heimatlosen und Flüchtlinge: VATER; VERGIB! Die Sucht nach dem Rausch, der Leib und Leben zugrunde richtet: VATER; VERGIB! Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf Gott: VATER; VERGIB! Seid untereinander freundlich, herzlich und vergebt einer dem anderen, gleichwie Gott Euch vergeben hat in Christus. (Epheser 4,32) AMEN“ |
Auch ein Friedensgebet / Andacht findet jährlich in einer der Stralsunder Kirchen am 6. Oktober statt. Dabei nehmen auch Gäste aus anderen Kirchengemeinden teil.
Einige der Gedenksteine auf dem Zentralfriedhof von Stralsund:
Erinnerung und Trauer, an die vielen Opfer mit der Hoffnung, dass sich solches nie wiederholen werde.
© 2010 - 2014 Peter Kieschnick