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Als am 18. April 1945 amerikanische Truppen in Leipzig
einmarschierten, war ich 13 Jahre alt. Ich hatte also die Zeit der schweren
Bombenangriffe auf meine Heimatstadt schon mehr oder weniger bewusst erlebt und
darunter gelitten.
Meine Eltern verhielten sich zwar offiziell dem
Naziregime gegenüber loyal, aber wir Kinder, ich hatte noch 2 Brüder, konnten
hin und wieder schon im engeren Familienkreis eine gewisse Ablehnung erkennen.
Natürlich brach für uns Halbwüchsige zunächst eine Welt zusammen, denn
unsere gesamte bisherige Sozialisation erfolgte ja zum größten Teil durch die
Schule und das Jungvolk im nationalsozialistischen Sinne. Es galt ja nun neue
und bessere Leitbilder und Ideen zu suchen.
Ein Schlüsselerlebnis hatte ich noch im April 1945, als ich Augenzeuge wurde, als durch die amerikanische Militärpolizei ein Büro des „Nationalkomitees Freies Deutschland“, das sich in unserer Wohnungsnähe etabliert hatte, aufgelöst wurde und die dortigen Mitarbeiter in Handschellen abgeführt wurden. Das verstand ich damals gar nicht, waren es doch Männer und Frauen, die sich gegen das Hitlerregime gestellt hatten. Ich begann nun mich näher mit politischen Fragen zu beschäftigen. Es fiel mir auf, dass durch den amerikanischen Militär-Kommandanten Personen in führende Positionen der zivilen Verwaltung eingesetzt wurden, die eine unrühmliche Vergangenheit hatten, so u.a. der ehemalige Polizeipräsident von Leipzig, Fleißner, der 1923 auf demonstrierende Arbeiter hatte schießen lassen.
Während der amerikanischen Besatzungszeit war das
öffentliche Leben sehr stark eingeschränkt. Das änderte sich abrupt mit dem
Wechsel zur sowjetischen Besatzung am 02.07.1945. Es wurden politische Parteien
zugelassen und, was für mich von Bedeutung war, es entstanden die
antifaschistischen Jugendausschüsse. Diese waren zunächst eine kommunale
Angelegenheit, gingen aber dann in der 1946 gegründeten FDJ (Freie Deutsche
Jugend) auf. Für mich stand nunmehr fest, dass sich so etwas, wie in den
vergangenen 12 Jahren nie wiederholen dürfe und ich mich aktiv dafür einsetzen
werde.
Mein Suchen nach neuen Inhalten führte mehr oder weniger zwangsläufig
zur FDJ. Ich hatte mich auch mal bei der kirchlichen Jugend umgesehen, aber das
war nicht so mein Fall. Die durch die SMAD (Sowjetische Militäradministration in
Deutschland) zwischenzeitlich zugelassenen Parteien erklärten ihren Verzicht auf
eigene Jugendorganisationen.
Meinen weiteren politischen Weg zu schildern, würde den
Rahmen hier sprengen. Ich kann ihn ja eventuell an anderer Stelle darlegen, wenn
dazu Bedarf vorhanden ist. Also ich engagierte mich sehr stark in der FDJ, so
dass ich auch bald Funktionen übertragen bekam. Das zog sich bis 1950 hin.
Nachdem ich das Abitur abgelegt hatte, stand nun für mich die Frage der
beruflichen Entwicklung. An sich wollte ich, wie es damals üblich war, nach der
8. Klasse aus der Schule gehen und einen Handwerksberuf erlernen, aber das kam
für einen Jungen aus „gut bürgerlichen Hause“ natürlich nicht in Frage. So
liebäugelte ich mit einem Studium, um Förster oder Tierarzt zu werden. Aber das
ließen die herrschenden politischen Verhältnisse nicht zu. Studienplätze, und
besonders solche exponierte, wie ich sie mir rausgesucht hatte, erhielten nur
Arbeiterkinder. Es lief damals gerade eine Aktion „FDJ-ler auf die Traktoren“,
d.h. in die Landwirtschaft.
Mir wurde da von der FDJ aus der Vorschlag
unterbreitet, daran teilzunehmen und ich stimmte dem zu. Etwa im Juli 1950 wurde
ich zum Landesvorstand Sachsen der FDJ nach Dresden eingeladen. Ich ging davon
aus, dass es sich um die genannte Aktion handele. Aber es kam ganz anders. Es
wurden hier verschiedene Gespräche geführt, wo ich mehr so nebenbei bekundete,
dass ich mich auch für maritime Fragen interessiere.
Und schwubsdiwubs (das
ist sicher ein sächsischer Ausdruck) war ich bei der Seepolizei gelandet. Diese
Polizeiformation war gerade gegründet worden und die FDJ hatte die Patenschaft
übernommen. Ich erhielt also den Verbandsauftrag, mich bei der Seepolizei zu
bewerben, was natürlich gleich dort an Ort und Stelle erledigt wurde.
Es dauerte nun noch bis zum November 1950 und am 18. dieses Monats musste ich mich in der Hauptverwaltung Seepolizei (HVS) in Berlin-Wilhelmsruh einfinden. Die HVS war dort vorübergehend im Verwaltungsgebäude des VEB Bergmann-Borsig untergebracht. Aus der S-Bahn stiegen außer mir noch viele andere junge Männer mit kleineren Koffern usw. aus. Wir alle, die offensichtlich den gleichen Weg hatten, waren zunächst erst einmal erschrocken, als wir den S-Bahnhof Wilhelmsruh verließen, denn wir betraten eine andere für uns DDR-Bürger ungewohnte Welt. Auch die vor dem Bahnhof patroulierenden Polizisten hatten nicht die uns gewohnten Uniformen an. Das klärte sich schnell auf, als uns einer dieser Polizisten ansprach, ob wir zur Seepolizei wollten und uns mitteilte, dass der Ausgang des Bahnhofes im französischen Sektor von Berlin liege. Er wies uns nun den Weg und dann ging die Prozedur, die jeder, der schon einmal eine Uniform angezogen hat, oder anziehen musste, über sich ergehen lassen musste. Formalitäten, Gespräche, medizinische Untersuchungen und, und . . . . und dann noch die Einkleidung.
Erschrocken war ich, als ich einmal auf den Ergebnisbogen
der Untersuchung blickte. Dort stand: „Polizeidiensttauglich III, (nur für
Verwaltung)“. Ich wollte doch zur See fahren und kein Bürohengst werden!
Gegen Abend wurden wir dann alle in Omnibusse verladen und ab ging es an die
Ostsee, konkret nach Ahlbeck. Untergebracht wurden wir dort an der
Strandpromenade in FDGB-Ferienheimen, die zur Winterzeit nicht genutzt wurden.
Und nun machten wir vorwiegend am Strand die Grundausbildung durch, die sich
aber, wem auch immer sei Dank nur knapp einen Monat hinzog.
An zwei „Phänomene“ dieser Zeit erinnere ich mich besonders:
Kurz vor Weihnachten 1950 war die Grundausbildung beendet und wir erhielten Urlaub und die schriftliche Aufforderung, uns am 03.01.1951 in der Seepolizeischule Parow bei Stralsund einzufinden.
An die Seepolizeischule Parow habe ich komischerweise nur relativ wenige Erinnerungen, aber auch diese will ich Euch nicht vorenthalten.
- | Es war, glaube ich, die 5. Kompanie unter Polizeirat
Lüdemann, der ich zugeteilt wurde. Verwaltungslaufbahn, wie man bei der Einstellungsuntersuchung festgelegt hatte, war nicht und ich hütete mich natürlich, auf diese Festlegung zu pochen, zumal mir ja nie gesagt wurde, warum eine solche Festlegung, aus medizinischer Sicht erfolgte. Ich kam aber in eine ähnliche, mir sehr angenehme Laufbahn: Funker. Nun ging es los mir dem didadidit, didadidit .-.. .-.. |
- | An was ich mich auch noch erinnere, war ein Hauptwachtmeister des Stammpersonals, welche Funktion er ausübte, weiß ich nicht, der jeden Anwärter, der ihn nicht grüßte, zurückbeorderte: „Kennen Sie mich nicht, ich bin Hauptwachtmeister K. und wünsche am Tag drei Mal gegrüßt zu werden!“ Es entwickelte sich unter uns Anwärtern zu einem Sport, ihm so oft, wie möglich am Tage zu begegnen und ihn nicht zu grüßen und immer wieder lief das gleiche Ritual ab, selbst wenn zwischen zwei Begegnungen nur wenige Minuten lagen. Warum er eine derartige „Macke“ hatte und was ihn zu einem solchen Verhalten bewegte ist mir niemals klar geworden. |
- | Eine schöne Angelegenheit für uns Funker war auch, dass wir in der seemännischen Ausbildung nicht am Kutterpullen teilnehmen mussten, sondern indieser Zeit Kuttersegeln hatten. Das wurde mit dem lockeren Handgelenk begründet, was Funker nun mal zum Bedienen der Taste brauchten. |
- | Auch an die Wache kann ich mich noch erinnern.
Besonders begehrt war hier die Wache „Wasserwerk“. Wie so vieles im
Objekt selbst, war auch das Wasserwerk, welches das Objekt versorgte,
nach Kriegende gesprengt worden. Es lag außerhalb des Objektes und war
provisorisch in den Trümmern der Sprengungen wieder in Betrieb genommen
worden. In unmittelbarer Nähe wohnte in einer Kate eine Familie mit
einer Tochter. Die hielt sich fast den ganzen Tag im Wasserwerk auf und
verbrachte dem Erzählen nach auch oft die Nächte im Wasserwerk. So
mancher Posten soll dann mit „Matrosen am Mast“ die Wache beendet haben.
Ob das nur Legenden waren, konnte ich nie überprüfen, denn zur Wache Wasserwerk wurde ich nie berufen. Aber auch der Torposten war begehrt, denn er zog erst am Morgen auf. Das hieß, dass man nach der Vergatterung die nachfolgende Nacht in seiner Koje verbringen konnte. Dieses „Privileg“ habe ich mehrmals genossen. |
Ansonsten verlief das Leben während der 9 Monate, die wir
dort waren, in normalen, Bahnen, denn es hieß ja einen gehörigen Lehrplan
abzuhaspeln. Neben anderen Fächern, wie z.B. Gerätekunde und etwas Theorie über
die Ausbreitung der Funkwellen usw. lag das Hauptaugenmerk auf dem Fach Geben &
Hören. Es wurde ja als Minimum im Hören Tempo100 und im Geben die 80 anvisiert,
da als Betriebstempo künftig 80 Zeichen/min. vorgesehen war.
Nach Beendigung
des Lehrgangs, ich hatte die Prüfungen erfolgreich abgelegt, manche, die es
nicht geschafft hatten, wurden auf andere Laufbahnen „umgeschult“. Es wurden für
zwei Küstenschutzboote, die 121 und 122, Besatzungen zusammengestellt und welch
ein Glück, ich kam als Funkgast auf die 121.
Die beiden Besatzungen wurden nach Berlin verlegt, die Boote wurden auf der Yachtwerft Köpenick gebaut und wir kamen dorthin zur Baubelehrung.
Berlin war 1950/51 schon eine sonderbare Stadt, bedingt
durch die Einführung der D-Mark und einer eigenen Verwaltung im Westteil der
Stadt war Berlin praktisch schon geteilt, was sich aber im Alltag gar nicht groß
bemerkbar machte. Die Einwohner Ostberlins konnten ihrer Arbeit in den
Westsektoren, wenn sie dort eine Stellung hatten, nachgehen und hatten den
Vorteil, dass sie einen Großteil ihres Einkommens zu günstigen Kursen umtauschen
konnten. Während die Westberliner sehr vorteilhaft Waren und Dienstleistungen im
Ostsektor erwerben konnten. Natürlich war es für uns verboten, die Westsektoren
zu betreten. Hin und wieder kam es aber doch vor, dass wir bei der Heimfahrt vom
Landgang, auf Grund des genossenen Alkohols in der S-Bahn einschliefen und dann
unsanft an der Endstelle, die im Westsektor lag, entweder durch das
Eisenbahnpersonal oder auch von so genannten „Stumm“polizisten geweckt wurden.
(Der damalige Westberliner Polizeipräsident hieß Stumm). Aber das war nicht
weiter schlimm, denn zu dieser Zeit waren die Fronten noch nicht so verhärtet,
wie es dann etwa 10 Jahre später der Fall war.
Aber ich will nicht so weit
vom Ursprungsthema abweichen.
Die zwei KS-Boot-Besatzungen waren in einer Villa in
Berlin-Köpenick untergebracht. Von dort ging es dann täglich zur Yachtwerft, wo
wir zusahen, wie unsere Boote gebaut wurden.
Das betraf aber hauptsächlich
das Maschinenpersonal und die seemännische Laufbahn. Wir Funker fuhren sehr oft
nach Oberschöneweide in die Ernst-Schneller-Straße, wo die HVS zwischenzeitlich
ein eigenes Objekt bezogen hatte. Hier wurden wir sozusagen als Schattenpersonal
in den Dienst der Funkstelle einbezogen und konnten so erste Erfahrungen im Netz
machen.
Das war auch gut so, denn bei der Yachtwerft Köpenick handelte es
sich ja um eine relativ kleine Werft und wir hatten manchmal selbst den
Eindruck, dass wir den Werftarbeitern nur im Wege standen.
Aber auch diese Zeit verging und unsere Boote wurden über die Spree-Oder-Wasser-Straße, die Oder, das Stettiner Haff und dann die Peene zur Peene-Werft Wolgast überführt, wo sie fertig gestellt wurden. Leider waren wir Funker an der Überführung nicht beteiligt. Es war nur notwendigste seemännische und Maschinenpersonal an Bord, da ja ein Großteil des Weges durch das Gebiet der Volksrepublik Polen führte. Wie unsere Kameraden uns später berichteten, war die Überführungsfahrt kein Zuckerlecken, denn der 2. Weltkrieg lag ja erst 5 Jahre zurück und die Ressentiments eines großen Teiles der polnischen Bevölkerung gegenüber deutschen Uniformen waren noch groß.
Nachdem unsere Boote in Dienst gestellt waren, begann erst einmal eine nervige Zeit. Im Päckchen am Pier des Standortes Wolgast liegend ging es nun hurtig mit „Flagge Lucie“ (Maskenball und Rollenschwof) los. Ich gehe davon aus, dass es in der „anderen deutschen Marine“ nicht anders war, erkläre aber mal für die „Landratten“, was unter den beiden Begriffen zu verstehen ist bzw. war. Beim Maskenball wurde das schnelle Umziehen für die verschiedensten Manöver an Bord, die ja teilweise unterschiedliche Bekleidung erforderten, geprobt.
Zunächst will ich erst einmal etwas über den Rollenschwof sagen: Jeder Dienstposten hat an Bord zu den verschiedenen Manövern bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Bei unseren KS-Booten war das besonders umfangreich, weil auf Grund der geringen Besatzungsstärke (19 Mann: 4 Offiziere, 5 Unteroffiziere, 10 Mannschaftsdienstgrade) ich als Funkgast, später wurde ich dann Funkmaat, in meinem Rollenbuch die verschiedensten Tätigkeiten hatte. So musste ich bei „Reinschiff“ die Offiziersräume säubern, beim „Backen und Banken“ bei den Offizieren den Backschafter machen, beim „Ankerwerfen“ die Ankerboje über Bord hieven und bei „Gefechtsalarm“ am Buggeschütz, eine Doppellafette der Flak 38 aus dem zweiten Weltkrieg als Ladeschütze an einem Rohr tätig werden. Dazu kamen auch noch andere Tätigkeiten, wie das Herstellen der Landanschlüsse für Strom und Telefon, wenn wir im Stützpunkt eingelaufen waren und um noch ein Beispiel anzuführen, das tägliche Kartoffelschälen für den nächsten Tag.
Dazu kam ja auch noch meine eigentliche Tätigkeit im Funkraum im Wechsel mit dem Funkmaat. Im Zusammenhang mit dem „Maskenball“ konnte das sehr stressig werden, zumal ja auch noch, auf Grund der räumlichen Enge an Bord, der Zu- und Abgangsweg zu den jeweiligen Stationen festgelegt war. Wenn man davon ausgeht, dass manche Leute, auch noch im Erwachsenenalter, Schwierigkeiten damit haben, rechts und links zu unterscheiden, kann sich sicher jeder vorstellen, was die ersten Tage bei Maskenball und Rollenschwof für ein Chaos an Bord herrschte, es kam ja eine neue Dimension: Back- und Steuerbord hinzu.
Der einzige, der bei diesen Manövern nichts zu tun hatte, war der Polit-Offizier, er hatte dafür aber den Nachteil, dass er bei keinem Manöver einen festgelegten Platz hatte, aber sich seiner Funktion bewusst, bei jedem Manöver „an vorderster Front“ sein wollte und demzufolge meistens nur im Wege herumstand.
Aber wir wollten ja nun endlich auf See und bevor das
alles nicht klappte, war nicht daran zu denken. So gaben sich alle Mühe und nach
kurzer Zeit, war alles zu Routine geworden.
Und dann war der Tag
angebrochen, wo es zum ersten Mal hinausging. Es dauerte aber noch eine ganze
Weile, bis wir die Ostsee erblickten, denn zunächst mussten die Boote die Peene
flussabwärts laufen und erst in Höhe von Peenemünde sahen wir dann das Wasser,
welches für uns die „Welt" bedeutete.
Das war schon komisch, als der Kahn
plötzlich anfing zu schaukeln, er hatte ja bei einer Länge von 28 m und einer
Breite von 4 m nur einen Tiefgang von 1,50 m, und das Land sich immer mehr von
uns entfernte, oder war es umgekehrt?
Auf alle Fälle waren wir alle zunächst happy, denn das war es ja, was wir wollten. Weit ging diese erste Fahrt nicht, wir umrundeten die Greifswalder Oie und dann ging es schon wieder peeneaufwärts nach Wolgast. Von der berüchtigten Seekrankheit hatten wir noch nicht viel mitbekommen, aber „erfahrene“ Seeleute klärten uns auf, dass das erst käme, wenn man kein Land mehr sehe und somit feste Orientierungspunkte fehlten. Ich kann vorausschauend aber schon sagen, dass mich die Seekrankheit immer wieder erwischte, allerdings nur, wenn ich Wache im Funkchap hatte. Das war ja nur ein kleiner Raum im Deckshaus, in dem gerade einmal Platz für eine Person war. Wenn dann alle Geräte eingeschaltet waren, ein Allwellenempfänger, anfangs war es noch einer der Firma Lorentz aus dem II. Weltkrieg, später bekamen wir dann Geräte aus der Neuproduktion der DDR, ein 100-Watt-Sender und ein Seenotfunkgerät, wurde die Luft sehr schnell schlecht, vor allem die Lack-Ausdünstungen der Geräte, und wenn dann die See noch so grob wurde, dass man die Bulleyes geschlossen halten musste, war der Ruf nach dem „Ulf“ schnell da. Wenn ich Freiwache hatte und mich an Oberdeck aufhalten konnte, blieb „Ulf“ ruhig.
Na ja man gewöhnte sich daran und schließlich hatte man es ja gewollt. Vielleicht rächte sich hier auch das Umgehen der Festlegung der Einstellungsuntersuchung. Aber aufgeben gab es nicht! Die Ausfahrten wurden immer weiter ausgedehnt, vor allem waren wir viel im Adlergrund, südlich von Bornholm, dort war auch unser Schießgebiet.
Nachdem wir uns dann Seemannsbeine geholt hatten, wurden wir zur Küstensicherung eingesetzt. Gemeinsam mit einem weiteren Boot, wurde unseres in Saßnitz stationiert und wir hatte die Aufgabe das Küstengebiet von Kap Arkona bis Saßnitz zu sichern. Ein Boot war 48 Stunden auf See und das andere hatte frei. Das war eine sehr anstrengende, aber auch lustige Zeit. Anstrengend, weil wir die Strecke mit einer Maschine „kleine Fahrt“ absolvieren mussten und bei jeder Schiffbegegnung Alarm ins Deck kam. Da hatten wir wirklich die A.....Karte gezogen. Denn Saßnitz war ja eine sehr stark frequentierte Ansteuerung. Aller 2 Stunden die Schwedenfähre und die Fischkutter des Fischkombinates. Es kamen damals auch noch viele westdeutsche Fischer nach Saßnitz und verkauften hier ihren Fang an das Fischkombinat.
Man kam also in den 48 Stunden weder aus den Klamotten und kaum in den Schlaf, aber man war jung und da verkraftet man das schon. Die lustige Seite der Sache war, dass wir im militärischen Teil des Saßnitzer Hafens neben einer Minenräum-Flottille der Baltischen Rotbannerflotte lagen. Deren Dienstplan richtete sich nach der in Leningrad herrschenden Zeit. Dort war also nach unserer Zeit also bereits morgens 04.00 Uhr wecken. Wenn man Posten Oberdeck hatte, konnte man dann beobachten, wie ein Großteil der sowjetischen Matrosen sich beim Frühsport „verpissten“ und in einer stillen Ecke des Hafengeländes des Fischkombinates, das sich an den militärischen Teil anschloss, erst einmal ein Lungentorpedo inhalierte. Es dauerte nicht lange, dass das viele unserer Besatzungsmitglieder nachmachten und wenn der Polit-Offizier dann Beschwerde darüber führte, gesagte wurde, das wir nur seine Forderung, uns die „ruhmreiche Baltische Rotbannerflotte“ als Vorbild zu nehmen erfüllten.
Das war schon ein lustiges Völkchen diese sowjetischen
Matrosen, sie waren aber auch bedauernswert, denn Landgang bekamen bei ihnen nur
die Offiziere. So konnte man an schönen Abenden beobachten, dass einer mit dem
Akkordeon auf die Pier kam und zu spielen anfing und es dauerte gar nicht lange
und schon war die schönste Männerparty mit Tanz im Gange. Auffallend für uns war
auch, dass sie unheimlich viele Tiere an Bord hatten. Außer Hunden, Katzen und
Papageien waren auch viele Rhesusaffen vertreten.
In Erinnerung sind mir
auch noch die Kinoabende. Die Seepolizei nutze eine alte Netzhalle des
Fischkombinates für Filmveranstaltungen. Dazu wurden auch die „Freunde“
eingeladen. Da sie kaum Abwechslung hatten, erschienen sie in Massen und
brachten auch ihre Tiere mit. Da sie zu überwiegenden Teil die deutsche Sprache
nicht beherrschten, war dann ein mächtiges Geschnatter in der Halle, so dass man
vom Film wenig mitbekam, denn auch die Papageien und Affen, die auf den
Schultern ihrer Herrchen saßen und die Hunde gaben ihren Senf noch dazu. Da war
es schon besser, wenn ein sowjetischer Film mit deutschen Untertiteln lief.
Wie mir gesagt wurde, herrschte schon zu Zeiten der Kriegsmarine eine Missstimmung zwischen den zwei Laufbahnen an Bord, dass hing wohl damit zusammen, dass die Maschinisten immer für den Strom für die Funkgeräte zu sorgen hatten und deshalb oftmals Wache gehen mussten, wenn Ruhe war.
Wie ich bereits erwähnte, gehörte zu meiner Rolle als
Funkgast auch die Reinigung der Offiziersräume und dazu natürlich auch das
Reinigen der Bilge darunter. Als das mal wieder notwendig war, begab ich mich in
den Maschinenraum und bat den Fahrmaat um das Lenzen der Bilge. Der Fahrmaat:
„Tut mir leid, der Jockel (Hilfsdieselmotor) ist defekt, da musst du mal mit der
Hand pumpen“ und er wies mir die entsprechende Handpumpe zu. Im Schweiße meines
Angesichts warf ich den Schwengel hin und her. Als die Bilge leer war, rief der
Fahrmaat dem Fahrgasten zu: „Werfe mal den Jockel an, wir müssen die
Maschinenraumbilge lenzen!“
Aber auch die Funker hatten Möglichkeiten, sich
zu revanchieren. Ich will damit aber nicht sagen, dass wir verfeindet waren, es
waren eben immer einmal solche kleine Neckereien.
Wenn ich mich noch richtig erinnere, mußten1952 acht Boote der KS-Division an die Grenzpolizei abgegeben werden. Die gesamte 1. KS-Abteilung und von der 2. und 3. KS-Abteilung je ein Boot. Die Boote mussten mit Mann und Maus übergeben werden. Wie das bei Versetzungen usw. üblich ist, wurden nur die Besten des Personals übergeben. D.H. vor der Übergabe wurde noch der eine oder andere der Besatzungen ausgetauscht. Aber irgendwo muss es eine undichte Stelle gegeben haben, denn nach ca. 1 Woche, kehrten die ausgetauschten Lords zur KS-Division zurück und die ursprünglichen Besatzungsmitglieder mussten, ob sie wollten oder nicht, den Weg zur Grenzpolizei antreten.
Die Gründe, warum mein Funkmaat von Bord ging, sind mir
heute nicht mehr erinnerlich. Schön für mich, war, dass kein neuer Funkmaat an
Bord kam, sondern ich als Leiter der Bordfunkstelle eingesetzt wurde und ein
neuer Funkgast kam. Ich war damit u.a. die Rolle „Reinschiff und Backschafter“
bei den Offizieren los. Aber es kamen eine ganze Reihe neuer, ungewohnter
Aufgaben und Verhaltensweisen auf mich zu.
Es war ja noch die Zeit, als wir
in Saßnitz stationiert waren und so brauchte ich nach dem Einlaufen in den Hafen
mich nicht mehr an den allgemein üblichen Pflichten der Mannschaft, wie z.
Reinigen der Flak 38, Aufklaren an Oberdeck und Kartoffelschälen beteiligen. Ich
hatte nur noch das Funkchab aufzuklaren. Wenn ich nicht nach dem Einlaufen mit
der Funktion des BdW (Bootsmann der Wache) dran war, konnte ich also kurz
nachdem das Boot festgemacht war schon den Landgang antreten.
Aber ich war ja nun eine Stufe in der Hierarchie aufgestiegen und brauchte viele der zeitaufwendigen Arbeiten nach dem Einlaufen nicht mehr mitzumachen, trotzdem bestanden weiterhin enge Verbindungen zu meinen ehem. Kumpels. So ließ ich mich einmal dahinreißen, weil wir gemeinsam was unternehmen wollten, einfach mit Kartoffeln zu schälen, was ich nunmehr als Unteroffizier nicht mehr durfte. Das Ergebnis: 6 Wochen Landgangssperre. Diese wurde zwar ausgesprochen, aber soweit ich mich erinnere nicht verwirklicht, es blieb, glaube ich bei 14 Tagen. So eine Angelegenheit war sicher noch ein alter Zopf, schon von der kaiserlichen Marine her. Ich habe das nie als gut empfunden, dass z.B. auf unseren Booten die Hälfte der Besatzung für die andere Hälfte mit arbeiten musste.
In der Zwischenzeit war die Minenräumflottille, es waren
6 ehem. Räumboote der Kriegsmarine, die Sowjetunion aus Beutebeständen zur
Verfügung gestellt hatte, auch nicht untätig gewesen und es begann das scharfe
Minenräumen. Unser Boot wurde als Bojenboot eingesetzt. Es ist eine sehr sehr
langweilige Sache. Wir begannen mehr von innen nach außen und das bei jedem
Wetter.
In der Zeit des Minenräumens, von Sonnenauf - bis -untergang,
setzten wir die Bojen aus und holten sie dann wieder ein. Nachts musste dann die
letzte Bojenlage bewacht werden, da sie oft verschwanden.
Wir bekamen die sogenannte Minenzulage. Leider war die entsprechend der Hierarchie an Bord festgelegt. Wenn ich mich noch richtig erinnere bekamen die Mannschaftsdienstgrade 2,00 M, die Unteroffiziere 2,50 M und die Offiziere 3,00 M/Stunde. Es waren da wohl auch einmal Bestrebungen im Gange, diese Zahlungen zu vereinheitlichen, aber Gleichmacherei setzte sich nicht durch. In der Zeit, wo ich noch an Bord war, verlief die Minensuche ergebnislos. Wir und sicher auch die R-Boote hatten ja vorher fleißig im Adlergrund das Abschießen von Minen trainiert, kamen aber nie zum scharfen Schuß auf eine Mine. Auch hier kam es wieder zu so kleinen Gefälligkeiten zwischen uns Funkern und den Maschinisten. Denn während der Nachtzeit mussten in der Regel die Bojenboote die Funkwache übernehmen und damit musste auch einer der Maschinisten Wache gehen, um die Stromversorgung zu garantieren. Schuld waren da eben nicht die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen für alle Boote, sondern die Funker!
Als am 05. März 1953 Stalin gestorben war, wurde auf dem Appellplatz vor dem
Speisesaal in Peenemünde ein riesiges Stalinbild mit Trauerflor aufgestellt und
jeder, der daran vorbeilief, musste automatisch in den Stechschritt übergehen
und Grußerweisung vollziehen. (Vergleiche Schiller „Wilhelm Tell“: „Siehst Du
den Hut dort auf der Stange ..“
Das wurde scharf
überwacht und jeder, der sich nicht daran hielt, musste unweigerlich für drei
Tage in den Bau. Ob die Arrestzellen, für den Andrang ausreichten oder der
Vollzug solange ausgesetzt wurde, bis wieder eine Zelle frei war, weiß ich heute
nicht mehr.
Auf alle Fälle wurde, wenn es möglich war vermieden, an dem Bild
vorbeizugehen, man nahm da lieber Umwege innerhalb des Objektes in Kauf. Für die
Besatzungen der KS-Boote spielte das kaum eine Rolle, da wir an der Holzpier an
der Peeneseite des Hafens, also gegenüber des Objektes lagen. Da es damals noch
keine Landverbindung, die durch das Gelände des Kraftwerkes hätte führen müssen,
vorhanden war, erfolgte der Verkehr zwischen unserem Liegeplatz und dem Objekt
ausschließlich per Schlauchboot.
Da 1953 meine dreijährige Dienstzeit, zu der ich mich zunächst verpflichtet hatte, auslief, und die Kündigungszeit relativ lang war, reichte ich im Mai mein Entlassungsgesuch ein. Es war nicht so, dass es mir in der Seepolizei/Volkspolizei-See nicht gefallen hat, aber ich wollte ja auch nicht bis ins Rentenalter hinein Funkmaat bleiben. Schon frühzeitig unternahm ich immer wieder Vorstöße, um zu einer Offiziersschule zugelassen zu werden. Diese Versuche wurden aber immer wieder mit dem Hinweisen, dass ich keine „proletarische“ Großmutter besaß und mein Vater im Mai 1950 die DDR in Richtung Hannover verlassen hatte, abgeschmettert. Ich hatte also sicher und sah das auch, keinerlei Chance des Weiterkommens. Die erste Konsequenz der Einreichung meines Entlassungsgesuches war, dass ich sehr schnell das KS-Boot 121 verlassen musste.
Ich wurde zur Küstenfunkstelle Peenemünde versetzt und war hier als Funker im Schichtsystem tätig. In diese Zeit fielen dann auch die Ereignisse um den 17. Juni 1953, von denen wir in der Funkstelle, außer der erhöhten Alarmbereitschaft, kaum etwas mitbekamen. Die gesamte Nordspitze der Insel Usedom war ja militärisches Sperrgebiet der Sowjetarmee und wir hatten nur einen Eisenbahnlinie und eine einzige Straße, die weder nach rechts, noch nach links verlassen werden durfte, als Verbindung über Karlshagen nach Zinnowitz.
Nach dem 17. Juni kam es dann ja zu erhöhten Entlassungen, die auch die Funkstelle betrafen und die dortige Personaldecke wurde immer dünner. Wenn ich mich recht entsinne, waren dann bloß noch der Leiter der Funkstelle, der auch irgendwie vor dem Ausscheiden, durch Entlassung oder Versetzung war, und ich vorhanden, so dass die Funkstelle nicht mehr rund um die Uhr, wie es an sich notwendig war, besetzt werden konnte. Es begann nun ein intensiver Druck auf mich, mein Entlassungsgesuch doch zurückzuziehen, der darin gipfelte, dass mir versprochen wurde, sofort als Leiter der Funkstelle bei gleichzeitiger Beförderung zum Meister, also den Obermaat überspringend, eingesetzt zu werden. Da dazu aber keiner derjenigen, die mir das versprachen, eine Garantie übernehmen wollte, ließ ich mich nicht erweichen und so endete Anfang Juni 1953 die maritime Phase meines Lebens.
© Bernd Sämann